Mit Prof. Dr. Felicitas Hillmann von der Fakultät VI sprechen wir heute über Tendenzen in der Wissenschaftskommunikation und über ihr Engagement im Editorial Board einer Non-Profit Open-Access-Zeitschrift. Weiter geht es mit unserer Interviewreihe zur Open Access Week 2024.
UB TU Berlin | Foto und Satz: Benjamin Mossop | Alle Rechte vorbehalten
UB: Open Access ist ein strategisches Ziel der TU Berlin. Wie sieht das in Ihrem Forschungsalltag aus? Ist Open Access ein Begriff? In welchen Kontexten nehmen Sie Diskussionen zu Open Access wahr?
FH: Ich halte sehr viel von Open Access. Man muss sich allerdings klarmachen, dass wir in den letzten Jahren eine problematische und undemokratische Entwicklung sehen: Forschung und die dazu nötige Infrastruktur wird weitestgehend aus öffentlichen Geldern bezahlt, die Forschungsergebnisse werden häufig in Journals mit Bezahlschranken für die Nutzer*innen publiziert. Und oft zahlen sogar die Produzent*innen, um in bestimmten Journals veröffentlichen zu können. Es wird doppelt und dreifach bezahlt, verdient wird bei den großen internationalen Verlagen. Sie haben sich ein Monopol geschaffen.
Auch losgelöst von Open Access verändert sich die wissenschaftliche Arbeitskultur. Gelesen wird nur noch, was zugänglich ist, KI-unterstützte Systeme grasen das Internet nach bestimmten Schlagworten ab – ganze Wissensfelder fallen brach, weil sie nicht instant zugänglich sind, weil die Verschlagwortung fehlt. Und: Die Bewertung wissenschaftlicher Qualität wird zunehmend daran bemessen, wie oft jemand zitiert wird. Das ist gefährlich, weil es die Vielfalt wissenschaftlicher Arbeit vermindert, sogenannte Zitierkartelle entstehen (es zitieren sich gezielt immer die gleichen Personen) und bestimmen, wer und welche Ansätze Gehör finden. Es entstehen Algorithmen-gesteuerte Bubbles, die unser Wissenschaftsverständnis unterminieren, weil man sich keine eigene Meinung mehr bildet.
Auch verleitet Open Access ein bisschen zur Faulheit: man meint, mal eben schnell von zuhause das nötige Wissen zusammensuchen zu können. Man bringt sich um das Erlebnis einer gut sortierten Bibliothek (mit Online-Angeboten) und vergisst, wie wichtig die Beratung von Fachleuten im jeweiligen Wissensfeld ist. Man stolpert auch nicht zufällig über andere Interessierte und tauscht sich aus. Dennoch: Wenn die Universitäten ihre eigenen Verlage haben, in denen Wissenschaftler*innen nach einer Qualitätskontrolle, dem sogenannten Peer-Review-Prozess, publizieren können, werden wichtige Forschungsergebnisse für Alle zugänglich gemacht. Ich sehe hierin eine Möglichkeit, dem oben beschriebenen Trend etwas entgegenzusetzen.
UB: Open Access hat den offenen Zugang zu wissenschaftlicher Information zum Ziel. Sie sind Mitglied im Editorial Board bei Cosmopolitan Civil Societies: An Interdisciplinary Journal. Die Open-Access-Zeitschrift ist für Autor*innen und Leser*innen kostenfrei ist. Könnten Sie uns über Ihre Motivation für dieses Engagement berichten? Geben Sie uns auch gern einen Einblick in den Redaktionsalltag – welchen Stellenwert hat Open Access für dieses Journal?
FH: Ich bin inzwischen schon in meiner zweiten Amtszeit bei diesem Journal dabei. Mir gefällt, dass es kostenfrei für Lesende ist und auch für Autor*innen keine Veröffentlichungskosten erhoben werden. Es handelt sich um ein interdisziplinäres, wirklich internationales Journal und es gibt eine große Offenheit für neue Themen. Es ist nicht so hoch gerankt wie andere Journals. Das macht die Suche nach guten Autor*innen und Beiträgen schwieriger. Denn viele Wissenschaftler*innen wollen nur sehr gezielt in hoch gerankten Journals publizieren. Was ich an diesem Journal schätze, ist, dass es Spielraum gibt, eigene Sonderhefte und damit eigene Themen zu setzen.
UB: Bis 2025 sollen laut der Digitalstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) 70 Prozent aller neu erscheinenden wissenschaftlichen Publikationen in Deutschland ausschließlich oder zusätzlich Open Access veröffentlicht werden. Erscheint Ihnen dieses Ziel sinnvoll? Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit dieses Vorhaben gelingen kann?
FH: Wir müssen dringend über unsere Erwartungen an die Vermittlung von universitärem Wissen sprechen: Wer soll für welches Wissen bezahlen? Was ist es uns wert? Warum sollten wir hochspezialisierte und in Bezahljournals publizierte Beiträge von der Allgemeinheit finanzieren lassen und so die privaten Verlage querfinanzieren? Es kommt also darauf an: Open Access in Universitätshand: ja, Open Access über kommerzielle Anbieter: da wäre ich sehr vorsichtig.
UB: Kurz und knapp in einem Satz: Was finden Sie gut an Open Access?
FH: Gute Open-Access-Publikationen mit Qualitätskontrolle halte ich für einen Ausweis nationaler Forschungsstärke und für einen wesentlichen Aspekt der Internationalisierung unserer Bildungssysteme. Wir bewegen uns auf einem globalen Wissensmarkt.
UB: Geben Sie uns zum Abschluss einen Einblick in Ihr Forschungsfeld für Disziplinfremde. Mit welchen Fragen und Erkenntnissen beschäftigen Sie sich?
FH: Mein Arbeitsfeld ist die Migrations- und Integrationsforschung mit einem besonderen Fokus auf der sozialräumlichen Dimension. Ich beschäftige mich intensiv mit Fragen der Fachkräftesicherung und Arbeitsmarktintegration. Aus unseren Untersuchungen wissen wir zum Beispiel, wie wichtig internationale Studierende für die Universitäten und die Stadtentwicklung insgesamt sind. Wir haben gerade eine Studie zur Willkommenskultur in Berlin und Brandenburg abgeschlossen und organisieren eine deutsch-kanadische Webinarreihe. Wir publizieren nur open access und peer reviewed.
Zur Person
Prof. Hillmann arbeitet seit vielen Jahren interdisziplinär zu den Fragen von Migration und Integration, hat dazu umfassend publiziert, gelehrt und viele Arbeiten betreut. Seit 2021 begleitete Sie die Ausrichtung der internationalen Metropoliskonferenz in Berlin für die TU. Seitdem führt ihr Team durch das Projekt „Paradigmenwechsel_weiterdenken“ das internationale nups-Netzwerk zum Thema weiter und hat einen deutsch-kanadischen Austausch auf die Beine gestellt. Die erste Buchpublikation der Nachwuchswissenschaftler*innengruppe ist bereits im Verlag BerlinUP Open Access publiziert worden.