Anlässlich der internationalen Open Access Week 2024 setzen wir unsere im Jahr 2017 gestartete Interviewreihe fort. Mit Bezug auf das diesjährige OA-Week-Motto „Communication over Commercialization“ haben wir TU-Angehörige auf ihr Engagement für alternative Publikationsprojekte oder -initativen angesprochen und gefragt: „Wie halten Sie es mit Open Access?“ Den Auftakt macht in diesem Jahr der Mathematiker Prof. i.R. Dr. Volker Mehrmann. Seiner Ansicht nach sollten wissenschaftliche Ergebnisse offen und für alle zugänglich sein.
UB TU Berlin | Foto und Satz: Benjamin Mossop | Alle Rechte vorbehalten
UB: Open Access ist ein strategisches Ziel der TU Berlin. Wie sieht das in Ihrem Forschungsalltag aus? Ist Open Access ein Begriff? In welchen Kontexten nehmen Sie Diskussionen zu Open Access wahr?
VM: Wissenschaftliche Ergebnisse sollten offen zugänglich sein. In meiner Forschung (in der Mathematik) ist das so realisiert. Fast alle Publikationen werden zuerst auf den preprint-server arXiv gestellt und sind damit frei zugänglich. Ich selber habe in meiner Eigenschaft als Präsident der European Mathematical Society in unserem Verlagshaus eine neue Form des Open Access initiiert, das Subscribe-to-Open (S2O) Modell. (Anmerkung der UB: Die Finanzierung der Zeitschriften erfolgt hier über Abonnements; sofern ausreichend Abonnements vorhanden sind, werden alle Artikel ohne zusätzliche Publikationskosten Open Access veröffentlicht). Dies Modell ist wesentlich demokratischer und kostengünstiger als das APC Modell (eine Gebühr pro publizierten Artikel), das im Wesentlichen eine Gelddruckmaschine für die großen Verlage darstellt. Ich habe auch bei der Einführung eines der ersten Diamond-Open-Access-Journale in der Mathematik (ETNA) mitgewirkt und bin Mitherausgeber einiger solcher Journale.
UB: Open Access hat den offenen Zugang zu wissenschaftlicher Information zum Ziel. Sie sind Editor bei dem gebührenfreien „Journal of Computational Mathematics„. Könnten Sie uns über Ihre Motivation für dieses Engagement berichten? Geben Sie uns auch gern einen Einblick in den Redaktionsalltag – welchen Stellenwert hat Open Access für das Journal?
VM: Journale wie „Electronic Transactions on Numerical Analysis“ (ETNA) oder „Journal of Computational Mathematics“ sind hervorragende Beispiele für Diamond Open Access in denen die Community die gesamte Arbeit macht. Im Gegensatz zu vielen Journalen mit Publikationsgebühren stimmt die wissenschaftliche Qualität und auch die Produktionsqualität ist oft besser als bei Journalen der großen kommerziellen Verlage. Aber das Modell ist meiner Ansicht nach nicht nachhaltig, weil irgendjemand die Produktionskosten bezahlen muss. (Anmerkung der UB: Bei der konsortialen Finanzierung von Open Access besteht die Herausforderung, dass diese regelmäßig organisiert werden muss – mit Auswirkungen auf den Planungshorizont von Zeitschriften. Mit dem Fair-Open-Access-Fonds will die UB einen dauerhaften Beitrag zur nachhaltigen Finanzierung solcher Modelle leisten.)
UB: Bis 2025 sollen laut der Digitalstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) 70 Prozent aller neu erscheinenden wissenschaftlichen Publikationen in Deutschland ausschließlich oder zusätzlich Open Access veröffentlicht werden. Erscheint Ihnen dieses Ziel sinnvoll? Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit dieses Vorhaben gelingen kann?
VM: Das Ziel ist in jedem Fall sinnvoll, aber es sollten noch mehr als 70 % sein. Wir müssen dazu von Modellen mit Publikationszahlungen wegkommen. Meiner Ansicht nach ist S2O die Zukunft. Bibliotheken, Wissenschaft und Verlage als Team mit einer deutlichen Kostensenkung und Qualitätssteigerung zu jetzt.
UB: Kurz und knapp in einem Satz: Was finden Sie gut an Open Access?
VM: Wissenschaft sollte für all da sein und nicht hinter teuren Kostenmauern liegen.
UB: Geben Sie uns zum Abschluss einen Einblick in Ihr Forschungsfeld für Disziplinfremde. Mit welchen Fragen und Erkenntnissen beschäftigen Sie sich?
VM: Meine Gebiete sind die Numerische Mathematik (die Entwicklung und Analyse von Algorithmen zur Lösung wissenschaftlicher/technischer Aufgaben). In der letzten Zeit beschäftige ich mich zudem sehr mit der mathematischen Modellierung in enger Verzahnung mit den physikalischen Prozessen.
Zur Person:
Volker Mehrmann ist seit 2000 Professor an der TU Berlin, mit vorherigen Stationen an der TU Chemnitz, RWTH Aachen, IBM Deutschland, University of Wisconsin, Universität Bielefeld. Er ist Mitglied von acatech, European academy of Science, academia europaea, ehemaliger Präsident der European Mathematical Society, und der Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik. Zudem ist er Sprecher des Forschungszentrums MATHEON und weitere Einrichtungen. Seit Oktober 2023 ist Volker Mehrmann im Ruhestand und Koordinator des Interdisziplinären Zentrums für Modellierung und Simulation IMoS an der TU Berlin.