2019 feiert der Universitätsverlag der TU Berlin sein 50-jähriges Jubiläum. Unter dem Motto „Ein Blick zurück und zwei nach vorn“ gab es zu diesem Anlass am 22. Oktober 2019 eine Podiumsdiskussion in der Universitätsbibliothek. „Wie wird das wissenschaftliche Publizieren der Zukunft aussehen?“ – dieser Frage stellten sich auf dem Podium Prof. Dr. Sabine Hark (TU Berlin, Gender Open, Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung), Dr. Ulrich Herb (SULB Saarbrücken), Prof. Dr. Johanna Hoerning (TU Berlin, Institut für Soziologie), Dr. Cori Mackrodt (Springer-Verlag) und Prof. Dr. Konrad Förstner (ZB MED Köln, Open Science Radio). Die Moderation hatte Dr. Christina Riesenweber (FU Berlin) inne.
Prof. Dr. Vera Meyer, die Open-Access-Beauftragte der TU Berlin, sprach bei der Podiumsdiskussion in der Zentralbibliothek der TU Berlin ein Grußwort.
Sehr geehrte Gäste, lieber Herr Thomsen, lieber Herr Christof,
50 Jahre wissenschaftliches Publizieren hier an der TU Berlin – Ein Blick zurück und zwei nach vorn ist das Thema der heutigen Veranstaltung.
Lassen Sie mich einen persönlichen Blick zurück und zwei nach vorn wagen.
„Lieber auf Luftlinien balancieren als auf Dogmen sitzen“ ist ein Zitat der Künstlerin Lou Scheper-Berkenkamp, einstige Schülerin von Lyonel Feininger und Paul Klee. Für mich ein wunderschönes Wortspiel, welches gleichermaßen den Mut der Freiheit feiert, Grenzen zu überschreiten, als auch das freudige Gefühl, welches einen durchzieht, wenn man Unmögliches in Mögliches verwandelt hat. Die Forderungen unserer Zeit – fair, verantwortlich und gemeinwohlorientiert zu handeln – gelten nicht nur für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch ganz konkret für uns Wissensschaffende. Eines der Dogmen, die uns dabei hindern, ist das Publizieren in Closed-Access-Journalen und Verlagen, die über Jahrzehnte sich etabliert haben und mit hohen Journal Impact Factors (JIF) für wissenschaftliche Qualität und Exzellenz stehen und werben. Wissen, zu dem es jedoch nur begrenzten oder gar keinen freien Zugang gibt, bleibt elitär und im schlimmsten Falle leer. Als Angehörige der TU Berlin haben wir heutzutage Dank der Anstrengungen unserer Universitätsbibliothek sowie der DEAL-Verhandlungsgruppe freien Zugang zu vielen Closed-Access-Journalen. Unsere Publikationen in Wiley-Journalen können nun seit wenigen Wochen von jedermann kostenfrei gelesen werden, in Springer/Nature sehr wahrscheinlich in wenigen Wochen.
Bis vor kurzem war die Situation jedoch eine andere. Ich kann mich noch gut an meine Zeit als TU-Doktorandin erinnern, als die TU Berlin keinen Zugang zu den meisten der Journalen hatte und ich daher regelmäßig zu besser ausgestatteten Berliner Wissenschaftseinrichtungen pilgern musste oder Bittstellerbriefe an Autoren schrieb, sie mögen mir doch bitte ihre Artikel zukommen lassen. Was für ein absurder Zustand! Nicht nur zeitlich ineffektiv, sondern auch zutiefst unbefriedigend, denn nur mit maximal der Hälfte meiner Wunschartikel kam ich wieder zurück an meinen Schreibtisch. Die Zeit während und nach meiner Habilitation verbrachte ich glücklicherweise in einer paradiesischen Welt: an der finanziell hervorragend versorgten Universität Leiden in den Niederlanden. Hier erlebte ich zum ersten Mal was es bedeutet, freien Zugang zu Wissen zu haben. Dies bildete eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen für meinen Erfolg als Wissenschaftlerin und meine Berufung an die TU Berlin.
Wie lässt sich Open Access realisieren?
Freier Zugang zu Wissen lässt sich heutzutage wiederum sehr einfach durch Publizieren in Open-Access-Journalen realisieren. Oder in Universitätsverlagen. Letztere tun dies ohne viel Aufhebens und ohne viel darüber zu reden. Damit ist das Thema schon umrissen: Open Access als Modell einer freien Wissenschaftskommunikation steht dem Closed-Access-Modell gegenüber, welches sich im letzten Jahrhundert etabliert hat. Vorreiter dieser traditionellen, auf Subskription basierenden Wissenschaftsverlage haben früh erkannt, dass sie sich mit diesem Geschäftsmodell zu börsennotierten Unternehmen entwickeln können, mit Gewinnen, die höher ausfallen, als jene von Google, Facebook oder Apple.
Wir müssen und sollten es nicht dabei belassen! Dies wäre nicht nur fair und verantwortlich, sondern auch gemeinwohlorientiert, denn Wissen in unseren Köpfen kann sich nur formen, weil unsere theoretischen und experimentellen Arbeiten durch Steuergelder finanziert sind. Liegt es da nicht auf der Hand, dieses Wissen frei der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen?
Was hindert uns an Open Access?
Doch hier behindern uns Dogmen, dies zu tun: „Open-Access-Journale (oder Universitätsverlage) sind qualitativ weniger wert“, „Open-Access-Journale haben kein Peer Review“, „um in meiner Community bestehen zu können, muss ich in bereits etablierten hochrangigen (und damit Closed- Access-)Journalen publizieren“… Um die Freude zu spüren, wenn man auf Luftlinien balanciert, habe ich mich vor ca. 5 Jahren entschieden, Herausgeberin eines Open-Access-Journals im Bereich der mikrobiellen Biotechnologie zu werden. Natürlich wird die Qualitätssicherung durch ein international besetztes Editorial Board sowie ein rigoroses Peer-Review-Verfahren gesichert. Der (inoffizielle) JIF ist auf Augenhöhe mit Closed-Access-Journalen meiner Community, die veröffentlichten Arbeiten werden dank Twitter und Facebook einer wesentlich größeren Allgemeinheit sichtbar gemacht und aufgrund dieser viel größeren Plattform werden die Artikel nicht nur unter Wissenschaftlern sondern auch unter Akteuren der Politik und Gesellschaft diskutiert.
Und natürlich ist nicht alles rosig. Viele hochkarätige Wissenschaftler meiner Community zögern noch, ihre Arbeiten bei uns einzureichen. Es ist natürlich leichter auf ein erfolgreiches Unterfangen (also ein etabliertes Closed-Access-Journal) zu setzen, als auf eine neues, noch im Werden begriffenes. Ich wünschte mir daher mehr Mut meiner Kollegen und Kolleginnen und von allen die Erkenntnis, dass nicht der JIF entscheidend ist, sondern die Qualität des einzelnen Artikels. Es gibt hervorragende in Journalen mit geringem JIF und schlechte in High-Impact-Journalen.
Was könnten wir als TU Berlin, wir als Berlin University Alliance tun?
Nun, Open Access ist ein wichtiges strategisches Element wissenschaftlicher Transferaktivitäten der TU Berlin und sollte fest an dieser verankert werden. Dafür muss es aber auch im Reputationssystem der Universität verankert werden. Open Access als Evaluationskriterium ist in der Berliner Hochschullandschaft ein intensiv diskutiertes Thema und ist z. T. bereits konkret umgesetzt. Vorbildhaft agiert hier die Charité. Open Access wird bei der Mittelvergabe und in Berufungsverfahren berücksichtigt.
Was könnten wir als Wissensschaffende tun?
Nutzen sie Universitätsverlage, nutzen sie Open Access Journale. Sollte es in ihrem Fach kein Open Access Journal geben, gründen Sie eins!
Wo könnte oder sogar sollte die Reise hingehen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Zukunft unserer Publikationskultur eine nichtkommerzielle sein sollte – dies wäre im ultimativen Sinne fair, verantwortlich und gemeinwohlorientiert! Warum? Auch kommerzielle Open Access Verlage sind nicht die Lösung, denn sie wollen Geld verdienen und werden früher oder später Gewinnmaximierung über Wissenschaftsförderung stellen. Sie sind jedoch genauso wenig wie Closed-Access-Journale systemrelevant. Eine interessante Option für das Open-Access-Publizieren der Zukunft stellen Universitätsverlage dar, sie arbeiten nichtkommerziell und zielen daher nicht auf Gewinnmaximierung. Sie ziehen auch keine Gelder aus dem Wissenschaftssystem, sondern sind selbstverständlicher Teil der Serviceinfrastruktur einer Universität.
Warum nicht die Zukunft der Publikationskultur wieder in die gemeinsamen Hände von Universitätsverlagen, Fachgesellschaften und nichtkommerziellen Publikationsverlagen legen? Universitätsverlage waren die Wiege, könnten Sie nicht wieder die Zukunft mitgestalten? Warum nicht in wissenschaftsnahe und öffentliche Infrastrukturen investieren, um Wissen zu verbreiten, anstatt Subskriptionskosten oder APCs zu zahlen?
Ich möchte mit Johann Wolfgang von Goethe schließen: „… es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“ Lassen Sie uns daher die Idee der Open-Access-Bewegung leben und vielleicht heute, vielleicht in naher Zukunft realistische Möglichkeiten in Richtung einer nichtkommerziellen Publikationskultur diskutieren. Ich wiederhole mich gerne: Dies wäre fair, verantwortlich und gemeinwohlorientiert.
Prof. Dr. Vera Meyer leitet das Fachgebiet Angewandte und Molekulare Mikrobiologie und ist seit März 2016 Open-Access-Beauftragte der TU Berlin. Teile der hier veröffentlichten Rede basieren auf einem Beitrag der Autorin in TUintern vom 17. Februar 2017.