„Open Access ermöglicht einen Wissenstransfer in Richtung Politik und Zivilgesellschaft.“

Zum Abschluss unserer Interviewreihe anlässlich der internationalen Open Access Week 2024 kommt Dr. Matthias Jakob Becker vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin zu Wort. Mit ihm haben wir über aktuelle Publikationsprojekte mit dem nicht-kommerziellen Open-Access-Verlag „Open Book Publishers“ und die Bedeutung von Open Access für den Wissenstransfer gesprochen.

UB TU Berlin | Foto: Kay Herschelmann | Satz: Benjamin Mossop | Alle Rechte vorbehalten

UB: Open Access ist ein strategisches Ziel der TU Berlin. Wie sieht das in Ihrem Forschungsalltag aus? Ist Open Access ein Begriff? In welchen Kontexten nehmen Sie Diskussionen zu Open Access wahr?

MJB: Open Access spielt in meinem Forschungsfeld – Linguistik, Social Media und Vorurteilsforschung – schon lange eine große Rolle. Über viele Jahre war Forschungsliteratur extrem teuer, so dass viele Synergieeffekte ausblieben. Das ändert sich mit der viel stärkeren Präsenz von Open-Access-Angeboten und der Digitalisierung grundlegend.

UB: Open Access hat den offenen Zugang zu wissenschaftlicher Information zum Ziel. Sie haben in diesem Jahr ein Buch bei Open Book Publishers veröffentlicht – ein Open-Access-Verlag, den die TU auch finanziell unterstützt. Können Sie uns über Ihre Erfahrungen mit diesem nicht-kommerziellen Verlag berichten?

MJB: Im Rahmen des Projekts „Decoding Antisemitism“ haben wir drei Open-Access-Bücher in Vorbereitung, die alle vom Publikationsfonds der TU Berlin unterstützt werden. Das Buch „Antisemitism in Online Communication – Transdisciplinary Approaches to Hate Speech in the Twenty-First Century“ erschien im vergangenen Juni bei Open Book Publishers. Die Zusammenarbeit mit diesem britischen Verlag verlief hervorragend, reibungslos und effizient, was uns auch dazu bewogen hat, einen weiteren Band bei diesem Verlag erscheinen zu lassen.

(Anmerkung UB: Für Publikationen im Verlag „Open Book Publishers“ werden regulär keine BPC erhoben. Der Verlag schlüsselt in dem Finanzierungskonzept transparent die Kosten für die nicht gewinnorientierte Publikation eines Buches auf. Die Refinanzierung dieser Kosten erfolgt durch ein drei Säulenmodell: durch Mitgliedschaften vornehmlich von Bibliotheken, Verkäufe von Print-Exemplaren und durch Titelzuschüsse auf Freiwilligenbasis bzw. Spenden.)

UB: Bis 2025 sollen laut der Digitalstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) 70 Prozent aller neu erscheinenden wissenschaftlichen Publikationen in Deutschland ausschließlich oder zusätzlich Open Access veröffentlicht werden. Erscheint Ihnen dieses Ziel sinnvoll? Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit dieses Vorhaben gelingen kann?

MJB: Gerade in meinem Forschungsbereich, der sich viel mit gesellschaftlicher Radikalisierung im Kontext von Online-Diskursen beschäftigt, sind Wissenstransfer und Dissemination enorm wichtig. Insofern erscheinen allein aus dieser Perspektive engagierte Ziele wie diese äußerst sinnvoll. In unserem Fall hat die TU Berlin bereits einen erheblichen Teil der Kosten getragen, was sehr hilfreich war. In einer idealen Welt ist Open Access nicht einfach ein neues Geschäftsmodell für Verlage, aber wenn Open Access mit Kosten verbunden ist, sind Förderungen für Autor*innen sehr wichtig.

UB: Kurz und knapp in einem Satz: Was finden Sie gut an Open Access?

MJB: Ganz zentral erscheint mir die Stärkung der Zusammenarbeit innerhalb der Forschungsdisziplinen (hier insbesondere die Einbindung von Nachwuchswissenschaftler*innen, denen oft ausreichende Mittel fehlen), die Annäherung der verschiedenen Disziplinen sowie der Wissenstransfer in Richtung Politik und Zivilgesellschaft. Auch wenn Bücher derzeit gerade von jungen Menschen immer weniger rezipiert werden, sind sie doch das einzige Medium, das komplexe Sachverhalte kohärent darstellen kann. Insofern ist eine erleichterte Zugänglichkeit (ggf. in Verbindung mit audiovisuellen Einführungen in die Thematik) ganz entscheidend für die Akzeptanz und Wirksamkeit der Forschung.

UB: Geben Sie uns zum Abschluss einen Einblick in Ihr Forschungsfeld für Disziplinfremde. Mit welchen Fragen und Erkenntnissen beschäftigen Sie sich?

MJB: Meine Kolleg*innen und ich interessieren uns für gesellschaftlich beobachtbare Aushandlungsprozesse von politischen Themen in den Sozialen Medien. Konkret heißt das für meine Forschung der letzten Jahre, wie Web-UserInnen in unterschiedlichen Sprachgemeinschaften und Online-Milieus Hass gegen bestimmte Gruppen kommunizieren, wie mögliche Sanktionen von denjenigen, die Hate Speech und Hetze betreiben, vermieden werden und welche Dynamiken und Trends absehbar sind. Das Phänomen des Antisemitismus in Text und Bild spielt dabei für mich eine zentrale Rolle, da es sich um die anpassungsfähigste Hassideologie handelt, die in allen gesellschaftlichen und politischen Milieus anzutreffen ist und derzeit eine hohe Sichtbarkeit aufweist.

Zur Person:

Matthias Jakob Becker ist Sprachwissenschaftler, Antisemitismus- und Internetforscher. Seit 2020 leitet er das internationale und transdisziplinäre Forschungsprojekt „Decoding Antisemitism“ am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Das Projekt konzentriert sich auf die qualitative und KI-gestützte Analyse antisemitischer Hassrede in politisch gemäßigten Online-Milieus. In seiner Forschung verbindet er Angewandte Linguistik, Diskurs- und Vorurteilsforschung mit Social Media Studies. Seit zwölf Jahren beschäftigt er sich mit der Frage, wie codierte Hassrede in Milieus des politischen Mainstreams kommuniziert wird und welche Dynamiken in Online-Debatten länderübergreifend sichtbar werden. Darüber hinaus hat er sich aktiv für einen verbesserten Wissenstransfer aus der Wissenschaft in die Praxis eingesetzt.

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