Robert Jungmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Organisationssoziologie an der Fakultät VI. Er plant seine Dissertation bei Springer VS zu publizieren – dort wird sie einerseits gedruckt und andererseits online und Open Access erscheinen. Wir haben ihn gefragt, wie es zu dieser Entscheidung gekommen ist und welchen Stellenwert Open Access für sein akademisches Schaffen hat.
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UB: Open Access ist ein strategisches Ziel der TU Berlin. Wie sieht das in Ihrem Forschungsalltag aus? Ist Open Access ein Begriff? In welchen Kontexten nehmen Sie Diskussionen zu Open Access wahr?
RJ: Open Access wird immer wieder zwischen uns Forschenden diskutiert. Es wird insbesondere als Möglichkeit gesehen eine kommerzielle Schließung von Erkenntnissen zu vermeiden, die in der Grundlagenforschung ja durch die öffentliche Hand finanziert wurden.
UB: Open Access hat den offenen Zugang zu wissenschaftlicher Information zum Ziel. Sie planen Ihre Dissertation Open Access zu publizieren – sie soll bei Springer VS gedruckt und online erscheinen, frei zugänglich natürlich. Warum haben Sie sich für diesen Weg entschieden?
RJ: Die derzeitige Publikationslandschaft in den Sozialwissenschaften ist meines Erachtens bestimmt durch eine schwierige Situation für Nachwuchswissenschaftler. Um sichtbare Beiträge auf dem Weg zu einer Berufungsfähigkeit zu leisten, ist die Publikation in etablierten Verlagen und Zeitschriften nach wie vor von größter Bedeutung. Publikationen in diesen Verlagen gelten als wissenschaftlich anerkannt. Es fehlt den bisherigen Open-Access-Infrastrukturen bisher an eben dieser Anerkennung, wie begründet diese Einschätzungen auch immer sein mögen. Gleichzeitig empfinde ich die freie Zugänglichkeit öffentlich finanzierter Grundlagenforschung als ein Muss. In dieser schwierigen Situation erschien mir ein Mittelweg sinnvoll. Das Buch erscheint so im Programm eines anerkannten Verlages, der auch einiges für die Sichtbarkeit tut, und ist zugleich frei zugänglich.
UB: Gab es bereits konkrete Situationen in Ihrem Forschungsalltag, in denen Open Access hilfreich war?
RJ: Ziemlich eindrücklich waren meine Erfahrungen mit einem gemeinsam mit zwei Kolleginnen herausgegebenen Sonderband für die Zeitschrift „Historical Social Research“, die nach einer Übergangszeit offen zugänglich ist. Wenn man sich anschaut, dass dieser Band auch in Afrika, Asien und Südamerika erstaunlich häufig gelesen wird, versteht man, was die freie Zugänglichkeit bedeutet. Die Leserschaft verändert sich, da es auch ein Publikum jenseits derer gibt, die Zugang zu gängigen E-Publikationspaketen und gut ausgestatteten Universitätsbibliotheken haben. Die sozialen Ungleichheiten in der Wissenschaft können zumindest abgemildert werden; ein tatsächlich internationaler Diskurs zwischen Wissenschaftlern, aber auch zwischen Wissenschaft und Praxis wird zumindest erleichtert.
UB: Bis 2020 sollen laut Open-Access-Strategie des Landes Berlin mindestens 60 Prozent der Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften frei zugänglich sein. Erscheint Ihnen dieses Ziel sinnvoll? Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit dieses Vorhaben gelingen kann?
RJ: Ich denke, wenn man nachhaltig etwas an der kommerziellen Schließung von Wissen ändern möchte, bedarf es eines weitergehenden Schrittes. Gemeinsam mit den jeweiligen Fachgesellschaften müssten die nun bereitstehenden Mittel verschiedener Universitäten gebündelt werden um genau das bereitzustellen, was die etablierten Verlage heute professionell tun: die redaktionelle Herstellung und die Erzeugung von Sichtbarkeit für qualitativ hochwertige Zeitschriften und Monographien. Das gesamte Peer-Review-Verfahren, also weite Teile der Qualitätssicherung, erfolgt ja bereits im wissenschaftlichen Ehrenamt. Die Frage ist nun, ob man das Geld nicht in professionelle Redakteure etc. investiert und gemeinsam mit den Fachgesellschaften renommierte Publikationsorte im Open Access für die jeweiligen Disziplinen schaffen kann. Einige Disziplinen, etwa die Mathematik, sind hier schon recht weit. In den Sozialwissenschaften ist ein ähnlicher Weg denkbar. Eine neue Generation von Wissenschaftlern kann dann mit der Selbstverständlichkeit heranwachsen, dass zentrale Publikationsorte als Open Access erscheinen.
UB: Kurz und knapp in einem Satz: Was finden Sie gut an Open Access?
RJ: Die freie Zugänglichkeit des produzierten Wissens gehört zum Ideal einer unbedingten Wissenschaft schlichtweg dazu. Kurzum: Open Access ist wissenschaftlich.
UB: Ein Einblick in Ihr Forschungsfeld für Disziplinfremde: Mit welchen Fragen und Erkenntnissen beschäftigen Sie sich?
RJ: Ich befasse mich vor allem damit, wie Kooperation entsteht und dies nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Organisationen, Gruppen und anderen Kollektiven. Insbesondere interessiert mich die Frage, wie gemeinsam neuartige Erkenntnisse produziert werden, bspw. in der Zusammenarbeit zwischen Arbeitsgruppen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen.
UB: Herzlichen Dank für das Interview!
Zur Person
Robert Jungmann arbeitet als Postdoc am Fachgebiet Organisationssoziologie der TU Berlin. Seine Schwerpunkte sind neben der Arbeits- und Organisationssoziologie auch allgemeine Fragen der Theorie und Methodologie der Sozialwissenschaften. Seine Dissertationsschrift, die unter dem Titel „Die Praxis kollektiven Handelns“ als Buch erscheint, entwirft ein praxistheoretisches Modell für die Analyse komplexer Formen der Zusammenarbeit. Thematisch arbeitet er im interdisziplinären Feld der Wissenschafts-, Technik- und Innovationsforschung. Robert Jungmann ist Mitglied eines DFG-Netzwerks zum soziologischen Neo-Institutionalismus, des Vorstandes der RC 17 (Sociology of Organizations) in der International Sociological Association sowie assoziiertes Mitglied des DFG-Graduiertenkolleg „Innovationsgesellschaft heute“.
Zu den weiteren Teilen der Interviewreihe:
Prof. Dr. Andreas Vogelsang (FG IT-basierte Fahrzeuginnovationen): „Unser Fachgebiet stellt mittlerweile alle Publikationen als Zweitveröffentlichung Open Access.“
Dr. Elena Matta (FG Wasserwirtschaft und Hydrosystemmodellierung): „Bei Zweitveröffentlichungen müssen Details beachtet werden, aber eigentlich ist es ganz einfach, Open Access zu publizieren.“