DFG positioniert sich kritisch zur bibliometrischen Wissenschaftsbewertung

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat im Mai 2022 das Positionspapier „Wissenschaftliches Publizieren als Grundlage und Gestaltungsfeld der Wissenschaftsbewertung“ veröffentlicht, das sich den aktuellen Publikations- und Bewertungssystemen widmet. Die DFG bezieht mit diesem Papier Stellung zu der Frage, wie eine verantwortungsvolle Wissenschaftsbewertung zukünftig gestaltet werden kann und positioniert sich dabei klar kritisch zur Leistungsbewertung auf Grundlage bibliometrischer Metriken.

Das Positionspapier richtet sich an die Wissenschaft und die öffentlichen Geldgeber, die nur gemeinsam Änderungen am traditionellen Reputationssystem bewirken können. Es adressiert und diskutiert die aktuellen Herausforderungen des wissenschaftlichen Publizierens und identifiziert sieben entsprechende Handlungsfelder der Wissenschaft und der Geldgeber.

Funktionen und aktuelle Herausforderungen des wissenschaftlichen Publizierens

Die DFG definiert die Grundfunktionen des wissenschaftlichen Publizierens als die Bekanntmachung, Qualitätsprüfung und Dokumentation wissenschaftlicher Erkenntnisse einerseits sowie die Zuschreibung von Urheberschaft und Reputation anderseits. Wissenschaftsadäquates Publizieren beinhaltet laut DFG die freie Wahl von Publikationsform und -ort, die Sicherung der Verwertungs- bzw. Nutzungsrechte durch die Publizierenden sowie den freien Zugang (Open Access) zu publizierten Inhalten.

Das wissenschaftliche Publikationswesen steht laut DFG-Papier aktuell vor einer Reihe von Herausforderungen. Dazu gehören die Wahrnehmbarkeit publizierter Wissenschaft, ungünstige Marktstrukturen und Geschäftspraktiken des wissenschaftlichen Verlagswesens, die Entwicklung neuer Mechanismen von Qualitätssicherung und -bewertung sowie die Verknüpfung von Wissenschaftsfinanzierung mit einer Wissenschaftsbewertung auf Grundlage bibliometrischer Metriken.

Insbesondere die bibliometrische Leistungsbewertung (z.B. die Bewertung eines Forschenden nach Anzahl seiner Publikationen oder Zitationen) setzt problematische Anreize, die zu nachhaltigem Schaden führt. Negative Auswirkungen des Publikationsdrucks sind die einengende Wirkung auf die Wahl von Publikationskanälen, Anreize zu Abstrichen bei der guten wissenschaftlichen Praxis und fragwürdige Publikationspraktiken (z.B. das Publizieren einer möglichst hohen Anzahl an möglichst renommierten Publikationsorten). Zum anderen drohen aber auch langfristige, strukturelle Folgen, z. B. wirkt sich die Abkehr von im Reputationswettbewerb benachteiligten Forschungsfeldern auf die Besetzung von Stellen, Lehrstühlen und schließlich die Ausrichtungen ganzer Forschungsinstitutionen aus.

Handlungsfelder der Wissenschaft und der Geldgeber

Zur Stärkung wissenschaftsadäquater Rahmenbedingungen im wissenschaftlichen Publikations- und Bewertungssystem benennt die DFG sieben konkrete Handlungsfelder für die (Leitungsebene der) Wissenschaft und die Geldgeber. Dabei schließt sich die DFG mit ein.

Aufgabe der Wissenschaft:

  • Adressatenorientierung wissenschaftlichen Publizierens ausbauen
    Wissenschaftliche Veröffentlichungen sollten sich durch Format, Textform, Publikationskanal sowie Verständlichkeit der Inhalte spezifisch an die für die Forschung relevanten Zielgruppen richten. Dabei sollten nicht (primär) der Impact oder die Reputation des Publikationsortes die Auswahl bestimmen.
  • Alternative Systeme der Reputationszuschreibung stärken
    Die Bewertungsverfahren der Wissenschaft sollten nicht auf bibliometrische Kennzahlen enggeführt werden, sondern sich auf ein breites Spektrum wissenschaftlicher Produktivität stützen. Die wissenschaftliche Reputation speist sich neben einem vielfältigen Spektrum an Publikationsformen auch aus der Übernahme von Verantwortung und Funktionen wie Koordinations- und Leitungsaufgaben, welche auch in Bewertungsverfahren angemessen gewürdigt werden sollten.
  • Hoheit der Wissenschaft über ihre eigenen Daten sicherstellen
    Die Wissenschaftler*innen sollten die Hoheit über ihre eigenen Daten und Nutzungsdaten behalten bzw. die Datenerhebung transparenter gestalten oder selbst organisieren. Nur so gelingt es Abhängigkeiten vorzubeugen und Missbrauch zu vermeiden. Am besten erreicht man dies durch die Nutzung von nichtkommerziellen Infrastrukturen.
  • Neue Formen der Qualitätsprüfung von Veröffentlichungen etablieren, nutzen und anerkennen
    Autor*innen von wissenschaftlichen Publikationen sind verantwortlich, die Qualität des zugrundeliegenden Forschungsprozesses zu sichern und dies transparent zu dokumentieren. Zugleich ist es an ihnen, wissenschaftsadäquate und qualitativ angemessene Publikationsorte für ihre jeweiligen Ergebnisse zu wählen. Hier gilt es, weitere Formen von Qualitätsprüfung und Peer-Einbindung zu etablieren.

Aufgabe der Geldgeber:

  • Das Spektrum akzeptierter Publikationsformate verbreiternEine verantwortungsvolle Wissenschaftsbewertung akzeptiert das ganze Spektrum wissenschaftlicher Publikationen und liefert keine Anreize dafür, dass bestimmte Publikationsformate oder -orte bevorzugt gewählt werden, nur weil sie einen Vorteil bei Begutachtungen oder Evaluationen versprechen.
  • Inhaltlich ausgerichtete Leistungsnachweise aufwertenDie zentrale Aufgabe der Geldgeber ist es sicherzustellen, dass die Bewertung wissenschaftlicher Leistung zuallererst auf der Grundlage der wissenschaftlichen Inhalte vorgenommen wird. Renommee der Publikationsorte und bibliometrische Kennzahlen sind daher, wo vorhanden, aus dem Kanon der offiziellen Bewertungskriterien zu entfernen und in der praktischen Nutzung auf ein Minimum zurückzuführen.
  • Die Seite der Rezipient*innen stärkenDie Leser*innen sollten wissenschaftliche Veröffentlichungen in adäquater Weise suchen, finden und nach inhaltlichen Kriterien selektieren können, ohne auf die großen kommerziellen Recherchesysteme angewiesen zu sein. Die öffentlichen Geldgeber sollten daher (gemeinsam) die wissenschaftsgeleiteten Aktivitäten beim Aufbau von Dienstleistungen für die fachliche Recherche, beim Verfügbarmachen wissenschaftlicher Information sowie beim hierfür erforderlichen Aufbau von Infrastrukturen unterstützen.

Die DFG hat das Ziel mit diesem Positionspapier einen Kulturwandel anzustoßen – hin zu einem offenem Publikationswesen und eine an Inhalten orientierte (statt durch Metriken gestützte) wissenschaftliche Leistungsbewertung. Sie schließt sich damit einer wachsenden Anzahl von nationalen und internationalen Initiativen an, die sich für eine Reform der Bewertung von Leistung und Qualität in der Wissenschaft einsetzen. So spricht sich auch der Wissenschaftsrat dafür aus „im Rahmen von Bewertungsverfahren die Qualität einzelner Publikationen zu beurteilen und nicht auf den Publikationsort bzw. davon abgeleitete Indikatoren als Qualitätsnachweis abzustellen“ [1]. Eine vielbeachtete internationale Initiative ist die San Francisco Declaration on Research Assessment (DORA), die sowohl von der DFG als auch der TU Berlin unterzeichnet wurde. Im Juli dieses Jahres hat die European University Association (EUA) zusammen mit u.a. Science Europe und der Europäischen Kommission die endgültige Fassung der „Vereinbarung zur Reform der Forschungsbewertung“ („Agreement on Reforming Research Assessment“) veröffentlicht. Diese Vereinbarung enthält die Grundsätze und Verpflichtungen sowie den Zeitrahmen für die Reformen. Sie zielt auf eine verstärkt qualitative Beurteilung auf Peer-Review-Basis und einen „verantwortungsbewussten Einsatz von quantitativen Indikatoren“. Sie legt die Grundsätze für eine Koalition von Organisationen fest, die bereit sind, bei der Umsetzung der Änderungen zusammenzuarbeiten.

Kontakt bei Fragen

Sollten Sie Fragen zur bibliometrischen Leistungsbewertung haben, wenden Sie sich gerne an uns oder informieren Sie sich auf der Webseite.

[1] Wissenschaftsrat (2022): Empfehlungen zur Transformation des wissenschaftlichen Publizierens zu Open Access; Köln. DOI: https://doi.org/10.57674/fyrc-vb61 

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