„Nicht-kommerzieller Open Access ist alternativlos und wird die Zukunft sein.“

Unsere Interviewserie zur internationalen Open Access Week geht weiter: Heute im Gespräch mit Prof. Robert Liebich vom Fachgebiet Konstruktion und Produktzuverlässigkeit der Fakultät V. Open Access für wissenschaftliche Ergebnisse ist für ihn alternativlos, zugleich fordert er ein nicht-kommerzielles Publikationswesen und plant die Gründung eines eigenen Open-Access-Journals.

UB TU Berlin / D. Grahl, F. Zillmer / CC BY 4.0

UB: Open Access ist ein strategisches Ziel der TU Berlin. Wie sieht das in Ihrem Forschungsalltag aus? Ist Open Access ein Begriff? In welchen Kontexten nehmen Sie Diskussionen zu Open Access wahr?

RL: Ich begrüße, dass sich die TU Berlin die Förderung von Open-Access-Veröffentlichungen zum strategischen Ziel gesetzt hat. Open Access wird in meinem Forschungsumfeld intensiv diskutiert. Hier scheint sich gerade im Rücken der weltweit geführten Diskussion um die Vertragsverhandlungen der Universitäten mit den einschlägig bekannten Verlagen über den kostengünstigen Zugang ihrer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Journalen eine immer stärker werdende Unzufriedenheit breit zu machen. Meine Kolleginnen und Kollegen sehen die Dominanz der Verlage sehr kritisch – vor allem wenn man bedenkt, dass die eigentliche Arbeit für ein erfolgreiches Journal allein von uns Wissenschaftlern über die Autorenschaft, die Reviews und die Herausgebertätigkeiten geleistet wird. Die Verlage tragen bis auf ein bisschen Werbung nichts zu diesem Erfolg bei. Früher galt das Argument der für den Verlag anfallenden Druck- und Versandkosten. Das entfällt schon seit etlichen Jahren, da wir mittlerweile auch für das Layout, das Redigieren und das komplette Erstellen der digital genutzten Dokumente verantwortlich sind. Ich kenne mittlerweile niemanden, der noch gedruckte Paper liest. Es gibt allerdings Kolleginnen und Kollegen, die unter Open-Access-Journalen solche Publikationen verstehen, wo man bei den Verlagen gegen eine Gebühr von mehreren hundert Euro pro Veröffentlichung als Autor einen freien Zugang für alle Nutzer sicherstellen kann. Dem Argument, dass diese Variante zu einer starken finanziellen Belastung der Autoren führt, wird von diesen Kollegen entgegengehalten, dass man vor allem über die DFG hierfür Publikationskosten abrechnen kann. Als Steuerzahler sträuben sich mir bei diesem Gedanken die Haare, wenn DFG-Gelder unnötigerweise in die Taschen von kommerziell geführten Verlagen umgeleitet werden.

UB: Open Access hat den offenen Zugang zu wissenschaftlicher Information zum Ziel. Gemeinsam mit Kolleg/innen diskutieren Sie derzeit die Gründung eines Open-Access-Journals. Wie kam es zu dieser Diskussion? Welche Vor- und Nachteile erwarten Sie? Welchen Hürden stehen Sie gegenüber?

RL: Aufgrund dieser Diskussionen und der Tatsache, dass sich für kleinere aber wissenschaftlich relevante Konferenzen kaum ein Verlag findet, der zu akzeptablen Konditionen Proceedings der wissenschaftlich begutachteten Konferenzbeiträge in einem Band veröffentlicht, habe ich mich entschlossen, die Gründung eines solchen Open-Access-Journals mit Hilfe der Universitätsbibliothek der TU Berlin anzustoßen. Das Journal soll alle Aspekte der Rotordynamik behandeln. Hierfür gibt es zurzeit noch kein wirklich unter Fachleuten bekanntes und vor allem anerkanntes Journal. Unsere Beiträge zu diesen Themen kamen in den vergangenen Jahrzehnten immer in Publikationen der Schwingungstechnik, der Mechanik und des Turbomaschinenbaus unter. Hier bietet sich die Möglichkeit, ein einschlägiges Fachjournal zu etablieren, das einen freien Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen ermöglicht. Das Problem bei der Neugründung eines Journals besteht zunächst in seiner fehlenden Bekanntheit. Alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind bemüht, ihre wertvollen Ergebnisse in hochwertigen und bekannten Journals unterzubringen. Nur dann werden ihre wissenschaftlichen Bemühungen und die teilweise jahrelange Arbeit über die einschlägigen Indizes (z. B. h-index, Journal Impact Factor) gewürdigt und helfen, im internationalen Wettbewerb zu bestehen und weiterzukommen. Jedes neue Journal muss sich zunächst über Jahre um Akzeptanz in der Wissenschaft bemühen und um hochwertige Arbeiten werben. Das wird auch für unser Open-Access-Journal nicht einfach werden. Hinzu kommt, dass einige bekannte und im internationalen Vergleich wichtige Rankings für den h-index von den einschlägigen Verlagen kontrolliert werden. Hier werden es die Open-Access-Journals sicherlich schwer haben z. B. bei Scopus gelistet zu werden. Das ist aber wichtig, um die Akzeptanz der Autoren für das neue Journal zu gewinnen. Hier muss man sich generell überlegen, wie man die Sichtbarkeit von Open-Access-Journalen und deren Akzeptanz in der jeweiligen wissenschaftlichen Community deutlich besser und vor allem zügiger erreicht. Das werden die Herausgeber dieser Publikationen nicht allein schaffen.

UB: Gab es bereits konkrete Situationen in Ihrem Forschungsalltag, in denen Open Access hilfreich war?

RL: Natürlich ist Open Access immer hilfreich. Zurzeit kann ich als Mitglied der Hochschule aber nicht auf Anhieb erkennen, ob ich einen wissenschaftlichen Beitrag aus einem Open-Access-Journal herunterlade oder ob ich dieses Dokument aufgrund vertraglicher Regelungen meiner Unibibliothek mit dem Verlag kostenfrei erhalte. Ehrlicherweise mache ich mir nicht ständig die Mühe, das nachzuprüfen. Ich bin immer dann verärgert, wenn ich diesen freien Zugang nicht erhalte und beim Anklicken eines Dokuments von den Verlagen auf deren Bezahlseite geführt werde. Wenn es zukünftig nur noch einen stark eingeschränkten Zugang gibt, weil die Universitäten sich den Preisvorstellungen der Verlage verweigern, wird es zwangsläufig einen sehr starken Trend zu Open-Access-Journalen geben.

UB: Bis 2020 sollen laut Open-Access-Strategie des Landes Berlin mindestens 60 Prozent der Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften frei zugänglich sein. Erscheint Ihnen dieses Ziel sinnvoll? Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit dieses Vorhaben gelingen kann?

RL: Das Ziel von 60% Open Access bis zum Jahre 2020 ist sehr sportlich. Mein schon angeführtes Argument der Sichtbarkeit und Akzeptanz von neuen und vor allem von Open-Access-Journalen in der wissenschaftlichen Community wird die Bremse bei diesem Vorhaben sein. Aber vielleicht wird so allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern klar, wohin die Reise gehen muss. Nur wir können die Akzeptanz von Open-Access-Journalen, vor allen von solchen, die kostenfrei ohne die Beteiligung von Verlagen geführt werden, ermöglichen. Wenn allerdings darunter die von Autoren an Verlage bezahlten Open-Access-Publikationen verstanden werden, wird sich die öffentliche Hand auf eine erhebliche Kostenflut einstellen müssen, denn Universitäten werden das mit Sicherheit nicht finanziell stemmen können.

UB: Kurz und knapp in einem Satz: Was finden Sie gut an Open Access?

RL: Open Access, in dem Sinne wie ich es verstehe, ist alternativlos und wird die Zukunft sein. Wir leisten als Wissenschaftler die inhaltliche Arbeit als Autoren, die gutachterliche Tätigkeit und die Herausgeberschaft. Es besteht also überhaupt kein Grund, warum wir bei reinen Online-Publikationen auch nur einen Cent an irgendjemand bezahlen sollten, weder als Autoren noch als Leser.

UB: Geben Sie uns zum Abschluss einen Einblick in Ihr Forschungsfeld für Disziplinfremde? Mit welchen Fragen und Erkenntnissen beschäftigen Sie sich?

RL: Ich beschäftige mich insbesondere mit Schwingungen und deren Vermeidung in komplexen Maschinensystemen und deren Auswirkungen auf die Festigkeit und Lebensdauer. Hier stehen vor allem rotierende Bauteile aber auch feststehende Strukturbauteile von Turbomaschinen in unserem Fokus. Zum Bereich Turbomaschinen gehören Gas-, Dampf- und Windturbinen für die Energiegewinnung, Turbolader für Fahrzeug- oder Schiffsantriebe, Verdichter für die Prozessindustrie und Flugzeugtriebwerke. Wir versuchen über Schwingungsanalysen und geeignete Simulationsmodelle realistische Aussagen über das vorhandene oder das zu erwartende Schwingungsverhalten und den damit verbundenen Einfluss auf die Lebensdauer des betroffenen Bauteils zu treffen. Gleichzeitig schauen wir, inwieweit sich mit Hilfe von passiven oder auch aktiven Systemen die Schwingungen positiv beeinflussen lassen. Darüber hinaus entwickeln wir axiale und radiale Gas-Folien-Lager. Das sind passiv arbeitende Luftlager, die vor allem bei sehr hochdrehenden kleineren Rotoren zum Einsatz kommen und ohne eine Schmierung, also insbesondere ohne Öl auskommen.

UB: Herzlichen Dank für das Interview!

Zur Person

Prof. Dr. Robert Liebich hat an der TU Berlin im Bereich Luftfahrtechnik studiert und promoviert. Im Anschluss war er Mitbegründer eines Ingenieurbüros für Schwingungsanalyse und später bei Rolls-Royce Deutschland als Entwicklungsingenieur und Projektleiter in der Gesamttriebwerksmechanik tätig. Nebenbei war Prof. Liebich Dozent an der TFH Wildau und der TU Berlin und leitet seit 2007 als Universitätsprofessor das Fachgebiet Konstruktion und Produktzuverlässigkeit am Institut für Maschinenkonstruktion und Systemtechnik der TU Berlin.

Zu den weiteren Teilen der Interviewreihe:

Vanessa Bach: „Ein guter Ruf und angemessene Qualitätssicherungsverfahren sind wichtige Kriterien bei der Wahl eines Open-Access-Journals

Thorsten Burandt & Konstantin Löffler: „Der offene Wissensaustausch macht Open Access so spannend.

Prof. Marga Lensen: „Open Access steigert die Sichtbarkeit der Publikationen meines Fachgebiets deutlich.

Prof. Nina Langen: „Die Einengung auf den Impact Factor als Bewertungssystem der Wissenschaft sollte überdacht werden.

Maik Pflugradt: „Open Access ermöglicht, dass meine wissenschaftlichen Ergebnisse weltweit frei zugänglich sind.

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