„Die Einengung auf den Impact Factor als Bewertungssystem der Wissenschaft sollte überdacht werden.“

Vorletztes Interview im Rahmen der diesjährigen Open Access Week: Prof. Nina Langen vom Fachgebiet Ernährung und Lebensmittelwissenschaft der Fakultät I kritisiert die Rolle des Impact Factor als Bewertungssystem der Wissenschaft. Open Access macht für sie besonders für wissenschaftliche Erkenntnisse Sinn, die in die breite Gesellschaft getragen werden sollen.

UB TU Berlin / D. Grahl, F. Zillmer / CC BY 4.0

UB: Open Access ist ein strategisches Ziel der TU Berlin. Wie sieht das in Ihrem Forschungsalltag aus? Ist Open Access ein Begriff? In welchen Kontexten nehmen Sie Diskussionen zu Open Access wahr?

NL: Am Ende eines jeden wissenschaftlichen Projektes stehen Publikationen, mit denen das erlangte Wissen mit der Gesellschaft und anderen Forscher*innen geteilt wird. Für jedes Thema überlegen meine Co-Autor*innen und ich, wen die Inhalte am meisten interessieren und welche Akteure von den Erkenntnissen wissen sollten. Danach wird im Idealfall das Journal gewählt, in dem die Beiträge platziert werden. Insbesondere bei transdisziplinären Projekten sind die potentiellen Leser*innen nicht immer Teil der wissenschaftlichen Community. Damit haben sie keinen einfachen Zugang zu kostenpflichtigen wissenschaftlichen Journals. Open Access macht ganz besonders für solche Erkenntnisse Sinn, die in die breite Gesellschaft getragen werden sollen. Allerdings gibt es noch eine zweite Komponente, die bei der Wahl eines Journals beachtet wird – der Impact Factor. Der Impact Factor wird häufig für die Beurteilung wissenschaftlicher Publikationsleistung herangezogen. Insbesondere für Wissenschaftler*innen, die sich noch auf feste Stellen bewerben müssen, ist es wichtig, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht nur frei zugänglich sind und damit einfach Resonanz in der Gesellschaft entfalten können, sondern in sehr guten Journals mit entsprechendem Impact Factor publiziert werden. Die Balance zwischen den beiden Ansprüchen zu finden, ist nicht immer einfach. Der dritte wichtige Faktor ist die Finanzierung von Open Access. Nicht jedes Paper entstammt einem Projekt, bei dem im Vorfeld die Kosten für Open Access einkalkuliert wurden. Flexible Stipendienmodelle sind an dieser Stelle entscheidende Weichensteller.

UB: Open Access hat den offenen Zugang zu wissenschaftlicher Information zum Ziel. Gemeinsam mit Co-Autor/innen publizierten Sie kürzlich in einem OA-Journal. Wie kam es zur Auswahl des Journals?

NL: Das von uns kürzlich gewählte OA-Journal genügt beiden o. g. Ansprüchen: ein Impact Factor, der schon heute bei über 1 liegt und inhaltliche Passung. Schon zuvor hatte ich in diesem Journal zum Thema Food Waste publiziert, so dass hier eine gelungene Ergänzung vorliegt.

UB: Gab es bereits konkrete Situationen in Ihrem Forschungsalltag, in denen Open Access hilfreich war?

NL: Immer dann, wenn der Zugang zu Journals nicht von der wissenschaftlichen Einrichtung finanziert wird, an der man selbst beschäftigt ist, ist es schön, dass es auch OA-Artikel gibt.

UB: Bis 2020 sollen laut Open-Access-Strategie des Landes Berlin mindestens 60 Prozent der Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften frei zugänglich sein. Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit dieses Vorhaben gelingen kann?

NL: Die Entscheidung für eine OA-Veröffentlichung fiele Wissenschaftler*innen leichter, wenn die etablierten Journals, die eine hohe wissenschaftliche Reputation in der eigenen Disziplin genießen und einen entsprechenden Impact Factor aufweisen, für Leser*innen und Autor*innen kostenfrei wären. Denn gute Forschung bringt nicht nur die Gesellschaft und die Wissenschaft weiter, sondern wird auch von beiden Akteuren gelesen. Auch das Bewertungssystem der Wissenschaft selbst, nämlich die Einengung auf Impact-Faktoren, sollte überdacht werden. Zudem sollte sich das Finanzierungssystem des wissenschaftlichen Publikationswesens überhaupt ändern. Es ist mehr als sonderbar, dass Wissenschaftler*innen für die Publikation oder das Lesen der Texte anderer Autor*innen zahlen sollen, wo sie bereits ehrenamtlich Editor*innen, Reviewer*innen etc. sind und die Forschungsleistung erbracht haben.

UB: Ein Einblick in Ihr Forschungsfeld für Disziplinfremde: Mit welchen Fragen und Erkenntnissen beschäftigen Sie sich?

NL: Mein Forschungsinteresse ist die Analyse nachhaltigen Ernährungsverhaltens in experimentellen Labor- und Feldstudien. Besonderer Schwerpunkt liegt auf den Themenfeldern Konsum von Fair Trade, Bio, regionalen und Cause-Related Marketing-Produkten und der Rolle, die bspw. Informationen und der erwartete Geschmack auf die Kaufentscheidung für ethische Produkte haben. Schon seit 2011 arbeite ich intensiv zu Lebensmittelverschwendung in Haushalten und der Außer-Haus-Gastronomie. Derzeit erproben wir gemeinsam mit unseren Verbund- und Praxispartnern im  BMBF-Projekt NAHGAST wie Nudging, Information und Partizipation genutzt werden können, um nachhaltige Essensentscheidungen in gastronomischen Einrichtungen der Außer-Haus-Verpflegung (d. h. Schule, Universität, Betriebsrestaurant, Krankenhaus) zu erleichtern. Ein weiteres Forschungsfeld ist die spannende Frage, wie Pioniere von Graswurzelbewegungen für Nachhaltigkeit zu ihrem transformativen Handeln gekommen sind. Daraus werden Erkenntnisse für die in der Abteilung entwickelte und didaktisch aufbereitete transformative Ernährungsbildung gezogen.

UB: Herzlichen Dank für das Interview!

Zur Person

Prof. Dr. Nina Langen leitet das 2016 gegründete Fachgebiet „Bildung für nachhaltige Ernährung und Lebensmittelwissenschaft“ (BiNErLe) am Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre (IBBA) und vertritt sowohl die Fachdidaktik der beruflichen Fachrichtung Ernährung sowie die Fachwissenschaft Ernährung in der Arbeitslehre. Als promovierte Agrarökonomin adressiert sie in Forschung und Hochschulbildung alltagsrelevante, lebensweltliche Kontexte mit dem Ziel, dass die Forschungsergebnisse nicht nur erkenntnisbringend für die Wissenschaft sind, sondern auch in Gesellschaft und Politik Impulse setzen. 

Zu den weiteren Teilen der Interviewreihe:

Vanessa Bach: „Ein guter Ruf und angemessene Qualitätssicherungsverfahren sind wichtige Kriterien bei der Wahl eines Open-Access-Journals

Thorsten Burandt & Konstantin Löffler: „Der offene Wissensaustausch macht Open Access so spannend.

Prof. Marga Lensen: „Open Access steigert die Sichtbarkeit der Publikationen meines Fachgebiets deutlich.

Prof. Robert Liebich: „Nicht-kommerzieller Open Access ist alternativlos und wird die Zukunft sein.“

Maik Pflugradt: „Open Access ermöglicht, dass meine wissenschaftlichen Ergebnisse weltweit frei zugänglich sind.

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