Auch in diesem Jahr können Angehörige der TU Berlin unseren Publikationsfonds für Open-Access-Bücher nutzen, um ihre eigenen Publikationen zu finanzieren. In unserer Reihe „Fünf Fragen an…“ kommen VertreterInnen aus dem Verlagsbereich zu Wort, die ein Geschäftsmodell für Open-Access-Bücher anbieten. Joachim Höper, Geschäftsleitung wbv Publikation bei wbv Media, gibt uns einen Einblick in die Praxis und zeigt, dass Verlage bei Open Access nicht nur auf die Einzelfinanzierung von Büchern setzen, sondern an neuen und kooperativen Modellen für Open Access arbeiten.
1. Bitte stellen Sie uns Ihren Verlag in wenigen Sätzen vor. Was ist das Selbstverständnis Ihres Verlages?
wbv Publikation ist die Verlagsmarke und einer von drei Geschäftsbereichen von wbv Media. Das unabhängige und eigentümergeführte Familienunternehmen mit Sitz in Bielefeld hat circa 65 Mitarbeiter*innen. Gegründet wurde es bereits 1864. Im Jahr 2018 fand die Umfirmierung von W. Bertelsmann Verlag zu wbv Media statt. Ebenfalls seit 2018 sind wir Mitgesellschafter der Verlagskooperation utb. Hier publizieren wir unser Lehrbuchprogramm und vertreiben über die scholars-e-library unser Gesamtprogramm an Bibliotheken. Seit Beginn 2020 kooperieren wir mit dem ATHENA-Verlag aus Oberhausen, dessen Backlist wir vertreiben und dessen Neuerscheinungen als Imprint erscheinen. Thematisch publizieren wir Titel aus den Bereichen Geistes- & Sozialwissenschaften, Bildung & Beruf sowie Verwaltung & Recht. Ein engagiertes Team von 15 Mitarbeiter*innen bei wbv Publikation bringt circa 100 Novitäten unserer Autor*innen, Herausgeber*innen und Institutionen pro Jahr an die Öffentlichkeit.
Wir erreichen gezielt die Wissenschafts-Community und die Fachöffentlichkeit in Institutionen, Bildungspraxis, Politik und Unternehmen. Als Wissenschafts- und Fachverlag haben wir ein ausgeprägtes Verständnis für die Publikationsbedarfe unserer namhaften Herausgeber*innen und Autor*innen. Während wir uns um die internationale Sichtbarkeit und Nutzbarkeit ihrer Inhalte kümmern, können sie sich uneingeschränkt auf ihre wissenschaftliche Arbeit konzentrieren. Wir sorgen für den Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis.
2) Was bewegt Sie dazu, ein Open-Access-Geschäftsmodell anzubieten? Vor welchen Herausforderungen stehen Sie als Verlag hinsichtlich Open Access?
Die Anfänge der verlegerischen Tätigkeit bei wbv Publikation lagen darin, publizistische Dienstleistungen für namhaften Institutionen im Bildungsbereich zu erbringen. Ab Anfang der 2000er Jahre veröffentlichten wir auch vermehrt verlagseigene Titel und Reihen im Programm. Die „Dienstleistungsorientierung“ für Auftraggeber*innen und Herausgeber*innen gehörte quasi zur Gründungs-DNA von wbv Publikation. Hinzu kommt, dass wir innerhalb der Erziehungswissenschaften Programme einiger kleinerer Sektionen bedienen, die im Kern eher kleine Zielgruppen darstellen. So haben wir immer schon Titel im Programm, die vom Auftraggeber (annähernd vollständig) finanziert werden, weil es einen öffentlichen Auftrag dazu gibt, neben Titeln, die sich allein durch Verkäufe am Markt tragen müssen und Mischfinanzierungen in allen Zwischenformen. Deshalb war die Umstellung der Geschäftsmodelle hin zu Open Access für wbv Publikation gedanklich zunächst kein großer Schritt.
Unsere Unternehmens-Mission „Wir machen Inhalte sichtbar“ ist Leitlinie, egal in welchem Geschäftsmodell wir unterwegs sind. Die Sicherstellung der inhaltlichen Qualität durch Herausgeberschaften oder die Organisation von Review-Verfahren (Peers, Institutionen) und die formale interne Qualitätssicherung hat unsere Arbeit von Anfang an ausgemacht. Wir organisieren die Verbreitung, Sichtbarkeit und Nutzung der uns anvertrauten Inhalte. Es kommen ständig neue Kanäle, Portale und Nutzungsformen hinzu, die wir prüfen und mit in unser Angebot aufnehmen. Als mittelständischer Verlag realisieren wir dabei vieles über intelligente Kooperationen.
Seit circa 2010 befassen wir uns intensiv mit dem Thema Open Access. Proaktiv haben wir Titel bestehender Reihen nach drei bis fünf Jahren Open Access gestellt und sind in die Beratung zu Open Access eingestiegen. Auch waren wir von Anfang an sehr freigiebig und kooperationswillig, was die Weitergabe von Open-Access-Inhalten an disziplinäre Repositorien wie peDOCS (DIPF) und SSOAR (gesis) betraf. Während also allerorten Open-Access-Policys entstanden und unsere Backlistumsätze schmolzen, ließ hingegen das Versprechen des goldenen Weges von Open Access für Monografien in den Geistes- und Sozialwissenschaften lange auf sich warten. Die gesellschaftliche Debatte der Jahre 2012 bis 2018 drehte sich fast ausschließlich um Open Access in den STM-Bereichen und die Publikationskosten von Zeitschriftenabonnements und APCs innerhalb eines Oligopols dreier internationaler Wissenschaftsverlage. An der Realität und Praxis der Publikationskulturen innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften und ihrer mittelständisch geprägten Verlagslandschaft ging diese Debatte schlicht vorbei.
Wir haben dennoch nicht gewartet, sondern in dieser Zeit viel experimentiert: Wir haben eine eigene OAI-PMH-Schnittstelle im Rahmen eines Projektes programmiert und sind eine Kooperation mit Knowledge Unlatched eingegangen, um die Distribution der Metadaten weltweit sicherzustellen. Wir haben Open-Access-Titel über E-Book-Distributoren vertrieben (die erst dann realisierten, dass sie in diesem Modell gar nichts mehr daran verdienen). Wir haben mit dem Börsenverein des deutschen Buchhandels über Open Access gesprochen, haben Crowdfunding ausprobiert und vieles mehr. Alle paar Monate finden wir wieder veränderte Markt- und Rahmenbedingungen vor. Der Prozess ist sehr dynamisch, lern- und kommunikationsintensiv.
Die größte Herausforderung für die großflächige Transformation hin zu Open Access sehen wir im Aufbrechen des standortbedingten Silodenkens. Als Verlag wollen wir nicht nur einzelne Titel, sondern – disziplinorientiert – ganze Programme organisieren. Wenn die Finanzierungsfragen aber immer nur titelbezogen nach Standort und Zugehörigkeit einzelner Autor*innen zu einer Universität und damit teilweise sehr unterschiedlich beantwortet werden, ist der Recherche-, Kommunikations- und Abstimmungsaufwand einfach zu groß. Die Frage der Disziplinorientierung müssen wir deshalb mit allen Akteur*innen gemeinsam bedenken. Tun wir das nicht, kann sich Open Access in den Geistes- und Sozialwissenschaften nur schwer zu einem tragfähigen Netz entwickeln, sondern es verbleibt ein durch Standortinteressen bedingter Flickenteppich, in dem sich alle Akteur*innen nur verheddern.
3) Welche Möglichkeiten zum Open-Access-Publizieren haben Autor*innen in Ihrem Verlag? Welche Services bieten Sie Autor*innen im Bereich Open Access?
Wir bieten je nach Vereinbarungen mit den tragenden Institutionen Open Access in Zeitschriften von Beginn an oder nach einer vereinbarten Frist. Wir haben Monografien, die z. B. aus dem Leibniz-Fonds für Monografien oder weiteren Fonds gefördert werden, wir bieten ermäßigtes Open Access für Qualifikationsschriften an und wir realisieren Open Access mittlerweile für sehr viele Publikationen, die im Rahmen von öffentlich geförderten Projekten entstanden sind. Wir experimentieren darüber hinaus mit Crowdfunding für die Finanzierung der Frontlist einzelner Programme, weil uns die disziplinorientiere Realisierung von Open Access am Herzen liegt.
Wir beraten viel zu diesen Fragen und stoßen viele Autor*innen oft zum ersten Mal auf dieses Thema. Allein die Aufklärungsarbeit in Sachen Creative-Commons-Lizenzen nimmt dabei einen großen Teil ein. Ansonsten machen wir keinen Unterschied bei den Leistungen gegenüber verkaufbaren E-Books. Printausgaben gehören in den allermeisten Fällen mit dazu. Technisch orientieren wir uns an den vom Nationalen Open Access Kontaktpunkt (NOAK) publizierten Qualitätsstandards für Open-Access-Publikationen.
Unser Anspruch in Bezug auf die Verbreitung ist nicht, dass wir die alleinige zentrale Plattform für alle Open-Access-Inhalte anbieten, sondern wir bieten sozusagen den „Digital-Hub“ für die nationale wie internationale Verbreitung in die vielen jeweils für das Fach relevanten Datenbanken und Informationsplattformen. Neben dem verlagseigenen Repositorium auf wbv-open-access.de sind das die direkte Belieferung der zentralen disziplinären Repositorien und unsere OAI-PMH-Schnittstelle für das Harvesting der Metadaten durch alle anderen. Die internationale Verbreitung der Metadaten stellen wir über Knowledge Unlatched und bei Zeitschriften neuerdings auch über ubiquity press (UK) sicher. Wir haben vor Jahren die Stelle einer Datenmanagerin geschaffen, um die Nutzungsdaten aus immer mehr nationalen wie internationalen Kanälen zu aggregieren. Durch unsere Marketing- und Social-Media-Leistungen haben wir schon manche Autor*innen und Herausgeber*innen verblüffen können. In unseren Disziplinen sind es nicht unbedingt immer die absolut großen Zahlen, sondern die Durchdringung der jeweils relevanten Zielgruppe, die unser Anspruch ist.
4) Wie kalkulieren Sie Open-Access-Publikationen? Gibt es aus Ihrer Sicht Publikationen, die für Open Access besonders geeignet sind?
Open Access Publikationen unterscheiden sich für uns im Prozess zunächst einmal nicht von anderen Publikationen. Nach der inhaltlichen Prüfung durch Institutionelle Lektorate, Herausgeberschaften oder Peer-Review durchlaufen OA-Publikationen im Prinzip die gleichen Prozesse und Abteilungen wie ein kommerzielles E-Book oder die dazugehörige Printausgabe. Es kommen ständig neue Vertriebspartner und Dienstleistungen hinzu, wie z. B. die Möglichkeiten für XML-basierten Satz und kollaborative, web-basierte Textarbeit. Hier kalkulatorisch zwischen Print und Open Access zu trennen, geht an der Realität in der Verlagspraxis vorbei. Die Aufwände und kalkulatorischen Umsatzerwartungen für Print können wir rausrechnen, bei allen anderen Leistungen ist das kaum sachgerecht.
Viele zentrale Bildungsstudien erscheinen bei wbv Publikation seit Jahren schon im Open Access. Ergebnisse öffentlich geförderter Bildungsforschung bieten sich hier an. Es gibt darüber hinaus Segmente im Bildungsbereich, die nicht unter klassischen Marktbedingungen funktionieren. Wir haben hier insbesondere Publikationen im Bereich von Alphabetisierung und Grundbildung im Open Access, zum Teil auch als Open Educational Resources (OER). Für Qualifikationsarbeiten von Nachwuchswissenschaftler*innen haben wir Sonderkonditionen, die im Prinzip nur die Herstellkosten abdecken. In den Erziehungswissenschaften hat eine Dissertation oftmals eine sehr wichtige Bedeutung, ist sie doch der Einstieg in die wissenschaftliche Karriere. Deshalb geben wir uns auch hier viel Mühe bei der Aufbereitung und Verbreitung. Weiterhin sehen wir für interdisziplinäre Forschung und neue Themengebiete gute Möglichkeiten über Open Access Communities zu erreichen.
5) Was wünschen Sie sich von den Universitätsbibliotheken und Fördereinrichtungen in Bezug auf Publikationsfonds für Open-Access-Bücher?
Es braucht mehr Zusammenarbeit von Universitätsbibliotheken, Fachinformationsdiensten und Verlagen, um die Finanzierung von Open-Access-Monografien disziplinorientiert zu denken und zu organisieren. Die OA-Roundtable-Initiative vom Berliner Open-Access-Büro ist an dieser Stelle sehr zu begrüßen. Gleiches gilt für das Engagement von NOAK und deren Initiative ENABLE!, bei der Verlage, Bibliotheken, Wissenschaft und Intermediäre sich austauschen. Die Transparenz in Bezug auf Leistungen und Preise, die von Verlagen zu Recht eingefordert wird, wünschen wir uns an der Stelle auch von Universitätsverlagen und Bibliotheken bei ihrer Leistungserbringung.
Mit etwas Sorge sehen wir die Tendenz, dass sich manche Beteiligte „one-size-fits-all“-Lösungen wünschen. Es gilt, die Publikationsbedarfe der jeweiligen Disziplinen zu analysieren und zu würdigen. Viele Verlage erreichen nicht nur die wissenschaftliche Community, sie engagieren sich darüber hinaus für die Edition von Reihen, Referenzwerken und Lehrbuchkonzepten – und sie erreichen auch Zielgruppen in der erweiterten Fachöffentlichkeit – jenseits der engeren Wissenschaft. Es braucht deshalb dauerhaft eine Vielfalt der Akteure, um die jeweiligen Publikationsbedarfe zu erkennen und zu bedienen. Dieser so gemeinschaftlich organisierte Wissenschaft-Praxis-Transfer ist wichtig für die gesellschaftliche Akzeptanz für die Ergebnisse von Wissenschaft und Forschung.