Gastbeitrag: Laudatio von Prof. Dr. Ulrich Pöschl zur Verleihung der Karl-Preusker-Medaille 2018

Am 14.11.2018 erhielt die Allianz der Wissenschaftsorganisationen die Karl-Preusker-Medaille 2018.  Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ist der Zusammenschluss der bedeutends­ten Wissenschafts- und Forschungsorganisationen in Deutsch­land. Sie unterstützt die Bibliotheken seit zehn Jahren mit ihrer Schwerpunktinitiative „Digitale Information“. Die Bundesvereinigung Bibliothek & Information Deutschland würdigt mit der Auszeichnung das herausragende Engage­ment der Allianz zugunsten der Ent­wicklung einer modernen Bibliotheksinfrastruktur.

Die Laudatio auf der Festveranstaltung am 14.11.2018 im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin wurde von Prof. Dr. Ulrich Pöschl, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, gehalten.

Vielen Dank für die freundliche Begrüßung und einen schönen Tag meine Damen und Herren!

Es ist mir eine große Freude und Ehre, eine Laudatio zur Verleihung der Karl-Preusker-Medaille an die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen vertreten durch Prof. Horst Hippler zu halten.
Aus der Sicht eines aktiven Forschers und Hochschullehrers möchte ich erläutern, auf welche Weise die Allianz “den Kultur- und Bildungsauftrag des Bibliothekswesens fördert und unterstützt” und dadurch eine sehr würdige Preisträgerin für die Karl-Preusker-Medaille ist.

Tatsächlich gibt es zwischen dem Wirken von Karl Preusker im 19. Jahrhundert und dem Wirken der Allianz im 21. Jahrhundert einige Parallelen.
Als Pionier in der Entwicklung des Bibliothekswesens trug Karl Preusker wesentlich dazu bei, dass Wissen und Bildung für eine breite Öffentlichkeit zugänglich und nutzbar wurden.
Was er vor knapp 200 Jahren mit der Einrichtung von Bibliotheken auf lokaler Ebene begann, befördert die Allianz nun weiter auf nationaler und internationaler Ebene: den freien Zugang zu wissenschaftlicher Information und ihre Nutzbarkeit für Forschung, Lehre, Technik, Medizin, Wirtschaft und das gesamtgesellschaftliche Wohlergehen.

Dazu gründeten die in der Allianz vereinten Wissenschaftsorganisationen im Jahr 2008 die Schwerpunktinitiative “Digitale Information” mit einer Reihe von gemeinsamen Handlungsfeldern, die für das Bibliothekswesen ebenso wie für die Forschung, Lehre und Wissensanwendung von großer Bedeutung sind.
Zu diesen Handlungsfeldern zählen digitale Daten- und Textsammlungen, digitale Werkzeuge, IT-Infrastrukturen und das wissenschaftliche Publikationssystem, worauf ich im Folgenden etwas näher eingehen möchte.

Im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens beschäftigt sich die Allianz-Schwerpunktinitiative mit zentralen Aspekten der Nachhaltigkeit, Nutzbarkeit, Effizienz und Kostentransparenz von Publikationsinfrastrukturen – sowohl für klassische Formate wie Fachzeitschriften und Monographien als auch für neuere Formate wie Video- und Bilddateien, Computer-Programme und sonstige Daten.
Aufgrund des besonders großen Volumens, der hohen Kosten und der breiten Nutzung von Fachzeitschriften ist es für die Erreichung der zuvor genannten Ziele besonders wichtig, die wissenschaftlichen Inhalte der Fachzeitschriften offen zugänglich und nutzbar zu machen. 

Die Motivation und die Grundprinzipien von “Open Access” als freiem Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen durch das Internet wurde vor etwa 15 Jahren durch offizielle Erklärungen von Wissenschaftlern und Wissenschafts­organisationen weltweit etabliert.
Die in der Allianz vereinten deutschen Wissenschaftsorganisationen zählten im Jahr 2003 zu den ersten Unterzeichnern der Berliner Deklaration für Open Access, die mittlerweile von über 600 Organisationen aus aller Welt unterzeichnet wurde und weiterhin regen Zulauf erhält.

Im Jahr 2016 zählten die Allianzorganisationen wiederum zu den ersten Unterstützern der internationalen Initiative OA2020, die darauf abzielt, klassische Fachzeitschriften von den unzeitgemäßen Zugangsbeschränkungen des Subskriptionswesens zu befreien und auf Open Access umzustellen.

Dazu möchte ich die OA2020 Interessenserklärung in der englischsprachigen Originalversion zitieren, die das Anliegen schlüssig zusammenfasst (https://oa2020.org/mission/): 

“Building on the Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities and on the progress that has been achieved so far, we are pursuing the large-scale implementation of free online access to, and largely unrestricted use and re-use of scholarly research articles.

We recognize and endorse various ways of implementing open access (OA), including the development of new OA publishing platforms, archives and repositories. In scholarly journal publishing, OA has gained a substantial and increasing volume. Most journals, however, are still based on the subscription business model with its inherent deficiencies in terms of access, cost-efficiency, transparency, and restrictions of use.

To gain the full benefits of OA and enable a smooth, swift and scholarly oriented transition, the existing corpus of scholarly journals should be converted from subscription to open access. Recent developments and studies indicate that this transition process can be realized within the framework of currently available resources. 

With this statement, we express our interest in establishing an international initiative for the OA transformation of scholarly journals, and we agree upon the following key aspects:

We aim to transform a majority of today’s scholarly journals from subscription to OA publishing in accordance with community-specific publication preferences. At the same time, we continue to support new and improved forms of OA publishing.

We will pursue this transformation process by converting resources currently spent on journal subscriptions into funds to support sustainable OA business models. Accordingly, we intend to re-organize the underlying cash flows, to establish transparency with regard to costs and potential savings, and to adopt mechanisms to avoid undue publication barriers.

We invite all parties involved in scholarly publishing, in particular universities, research institutions, funders, libraries, and publishers to collaborate on a swift and efficient transition for the benefit of scholarship and society at large.

Specific steps and milestones for the transformation process shall be outlined in a roadmap to be further developed in the course of this initiative. We see the initiative as one element of a more profound evolution of the academic publishing system that will lead to major improvements in scholarly communication and research evaluation.”

Tatsächlich bedeutet Open Access entgegen landläufigen Missverständnissen keine Bedrohung für die wissenschaftliche Qualitätssicherung und Evaluierung, sondern bietet vielmehr die Grundlage für dringend benötigte Verbesserungen.
Diese Verbesserungen sind übrigens auch der Grund, weshalb ich mich seit dem Jahr 2000 als Forscher und Hochschullehrer für Open Access engagiere. Bei Interesse und Gelegenheit könnte ich Ihnen im Nachgang oder ein andermal gerne über die sehr erfreulichen und durchaus großskaligen Fortschritte in diesem Bereich berichten.

Der Transformationsansatz von OA2020 und verwandten Initiativen wird derzeit in zahlreichen Ländern und Institutionen sehr aktiv und erfolgreich vorangetrieben.

Hierzulande kulminieren die Bemühungen aktuell im Projekt DEAL, dessen Bezeichnung sich von “Deutsche Allianz Lizenzen” herleiten lässt. Unter der Leitung von Prof. Horst Hippler verhandelt ein Team der Allianz intensiv mit den größten internationalen Wissenschaftsverlagen, um die Bereitstellung wissenschaftlicher Fachzeitschriftenartikel in Deutschland zu verbessern.
Für die entschlossene und geschlossene Haltung in dieser Sache gebührt Prof. Hippler, seinem Team und der Wissenschaftsallianz größter Dank und höchste Anerkennung.

Nur durch ein gemeinsames Auftreten der ansonsten stark diversifizierten wissenschaftlichen Gemeinschaft ist es möglich, den von Profitmaximierung und Machterhalt getriebenen internationalen Großverlagen erfolgreich zu begegnen.
In Bezug auf die Realisierung und Kosten von Open Access stellten die Großverlage teilweise absurde Behauptungen, Forderungen und Hemmnisse auf, und wussten ihre Geschäftsinteressen bisher nach dem Prinzip “divide et impera” durchzusetzen.

Dank der Allianzinitiative und anderer nationaler und internationaler Kooperationen von Wissenschaftlern und Wissenschaftsorganisationen verbreitet sich nun langsam wieder die Einsicht, dass Verlage Dienstleister für die Wissenschaft sein sollten und nicht umgekehrt.

Ziel der aktuellen DEAL-Verhandlungen sind sogenannte “Publish & Read”-Vereinbarungen mit denen sich eine weitgehend kostenneutrale Umstellung vom Subskriptionsgeschäft der Verlage auf Open Access effizient bewerkstelligen lässt.

Angesichts der historischen Entwicklungen und aktuellen Situation sind solche Vereinbarungen und ein weitgehend kostenneutraler Übergang angemessene und sinnvolle erste Schritte, um einen offenen und wissenschafts­gerechten Dienstleistungsmarkt für Open Access Publikationen herzustellen.
Daran anknüpfend ist in weiterer Folge zu erwarten, dass in einem offenen Publikationsdienstleistungsmarkt die Anstrengungen und Leistungen von Großverlagen für die Wissenschaft deutlich steigen und/oder ihre Preise deutlich sinken werden.
Umfassende Analysen des weltweiten Publikationsmarktes zeigen, dass die Ausgaben bzw. Preise für den Zugang zu Fachzeitschriften in dem von Großverlagen beherrschten traditionellen Subskriptionsgeschäft durchschnittlich rund 4000 Euro pro Fachzeitschriftenartikel betragen. In Open Access Fachzeitschriften vergleichbarer Qualität liegen realistische Preise pro Artikel nur bei rund 2000 Euro oder darunter.

In meinem eigenen Forschungsfeld, den Atmosphären- und  Geowissenschaften, sind einige der weltweit führenden und größten Fachzeitschriften von höchster Qualität und Sichtbarkeit schon seit vielen Jahren reine Open Access Fachzeitschriften. Diese Zeitschriften gehören der Fachgesellschaft European Geosciences Union und werden von einem mittelständischen Verlagshaus in Göttingen hergestellt, mit ansehnlichen Einkommen und Überschüssen sowohl für den Verlag als auch für die Fachgesellschaft. Aufgrund effizienter Nutzung moderner Technologien beträgt der Preis pro Artikel dort jedoch durchschnittlich nur rund 1300 Euro.

Für Fachzeitschriftenartikel ähnlicher Qualität und Sichtbarkeit zahlen die Wissenschaft und die Öffentlichkeit also in klassischen Subskriptionszeitschriften der internationalen Großverlage etwa dreimal so viel wie in Open Access Fachzeitschriften, die von einem mittelständischen deutschen Verlagshaus für eine europäische Fachgesellschaft betrieben werden.
Mit diesem Beispiel möchte ich auch verdeutlichen, dass Open Access für kleine und mittelständische Verlage in Deutschland und anderswo weniger eine Gefahr als vielmehr eine große Chance darstellt.

Aufgrund der zuvor genannten Analysen und Erfahrungswerte können wir davon ausgehen, dass der finanzielle Puffer und Spielraum für den Übergang zu Open Access und für eine wissenschaftsgerechte Gestaltung des Fachzeitschriften-Publikationssystems real bei rund 50% der aktuellen Ausgaben und zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel liegt. Von einer Gefährdung des Publikations­systems und seiner Finanzierbarkeit durch Open Access kann also gar keine Rede sein.

Die vom DEAL-Verhandlungsteam der Allianz angestrebten, weitgehend kostenneutralen “Publish&Read”-Vereinbarungen für Fachzeitschriften sind ein für den Übergang zu Open Access angemessenes Entgegenkommen der Wissenschaftsorganisationen und faires Angebot an die Großverlage.
Aktuell bestehen gute Aussichten, dass einige Großverlage auf dieses Angebot eingehen und den Weg zu einem geordneten Übergang zur Open Access frei machen. Sollte dies nicht geschehen, müsste die Wissenschaft sich verstärkt und beschleunigt – mit allergrößtem Nachdruck – auf die bereits bestehenden alternativen Dienstleister konzentrieren und neue fördern bzw. entwickeln (Stichwort Open Access Verlage, Repositorien, Overlay Journals etc.).

Gewinnmaximierung ist ein legitimes Ziel für private Unternehmen, sollte aber nicht zu Lasten der Wissenschaft und der Gesellschaft gehen. In diesem Sinne wäre zu wünschen, dass auch die internationalen Großverlage sich auf ihre Rolle als Dienstleister rückbesinnen.

Jedenfalls möchte ich dazu aufrufen und bin überzeugt, dass die Allianz und ihr Verhandlungsteam unter der Leitung von Prof. Hippler weiterhin entschlossen und geschlossen für die Interessen der Wissenschaft und der Öffentlichkeit eintreten.
In diesem Sinne möchte ich Ihnen, lieber Herr Hippler, Ihrem Team und der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen herzlich zu der wohlverdienten Auszeichnung gratulieren.

Gleichzeitig und abschließend möchte ich auch dem Verband “Bibliothek und Information Deutschland” (BID) sowie den zuständigen Gremien für die hervorragende Wahl des diesjährigen Preisträgers der Karl-Preusker-Medaille gratulieren.

Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank!

lizensiert unter CC BY 4.0
Creative Commons Namensnennung 4.0 International
https://creativecommons.org/licenses/by/4.0

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