„Open Access spart in der Erwerbung für unsere Bibliothek Geld und Arbeit. Frei zugängliche Literatur ist für den Forschungs- und Arbeitsalltag von großer Bedeutung.“

Weiter geht’s mit unserer Interviewreihe zur Open Access Week 2021. Heute mit Irmela Roschmann-Steltenkamp und Adina Stern vom Zentrum für Anitsemitismusforschung an der Fakultät I. Wir haben beide gefragt, welchen Stellenwert Open Access in ihrem akademischen Schaffen hat.

Das Bild zeigt Irmela Roschmann-Steltenkamp & Adina Stern mit ihrem gemeinsamen Statement: "Open Access spart in der Erwerbung für unsere Bibliothek Geld und Arbeit. Frei zugängliche Literatur ist für den Forschungs- und Arbeitsalltag von großer Bedeutung."
UB TU Berlin / Foto: Doreen Grahl, Grafik: Hannelore Stöcklein / Alle Rechte vorbehalten

UB: Open Access ist ein strategisches Ziel der TU Berlin. Wie sieht das in Ihrem Forschungsalltag aus? Ist Open Access ein Begriff? In welchen Kontexten nehmen Sie Diskussionen zu Open Access wahr?

IRS: Vor allem in der Bibliothek ist Open Access ein wichtiger Faktor. Dadurch, dass Bücher und Zeitschriften problemlos und kostenfrei zur Verfügung gestellt werden, ist der Zugang zu ihnen natürlich sowohl für Studierende als auch für wissenschaftlich Arbeitende sehr einfach geworden. In unserem Forschungsalltag beteiligen wir uns an einigen Projekten, wie zum Beispiel im Jahr 2019 an einer Kooperation zwischen dem Verlag DeGruyter und einem überregionalen Bibliothekskonsortium, die Bücher zur jüdischen Geschichte als Open Access zugänglich gemacht hat.

AS: Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, erkennen wir keine Diskussionen über Qualität und Relevanz des Open Access, denn zumindest die Autorinnen und Autoren des Jahrbuchs für Antisemitismusforschung nehmen die breitere Öffentlichkeit als positiv wahr. Vor allem in Zeiten von Home Office und geschlossenen Bibliotheken ist dies zum Ausdruck gekommen. Das gilt sowohl für die Verfasserinnen und Verfasser der Beiträge zum Jahrbuch für Antisemitismusforschung als auch für die Studierenden und das allgemeine Lesepublikum des Jahrbuchs.

UB: Open Access hat den offenen Zugang zu wissenschaftlicher Information zum Ziel. Adina Stern, Sie sind am ZfA u.a. für die Redaktion und das Lektorat des „Jahrbuchs für Antisemitismusforschung“ verantwortlich, welches seit 2002 im Metropol-Verlag erscheint und nun sukzessive auch nachträglich über das TU-Repositorium Open Access gestellt wird. Können Sie etwas mehr zum Hintergrund sagen?

AS: Das seit 1992 jährlich erscheinende Jahrbuch für Antisemitismusforschung ist das einzige deutschsprachige, regelmäßig erscheinende Periodikum zu dieser Thematik. Es ist ein international renommiertes Forum für wissenschaftliche Beiträge zur Antisemitismus-, Vorurteils- und Minderheitenforschung und bündelt dieses disziplinär breite Spektrum. Es ist deshalb fächerübergreifend und international vergleichend ausgerichtet und veröffentlicht wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der Judenfeindschaft, zur nationalsozialistischen Verfolgungspolitik, zum Holocaust, zu Emigration und Exil sowie zu Rechtsextremismus, Minoritätenkonflikten und zur Theorie des Vorurteils. Die Beiträge erscheinen in Deutsch oder Englisch. Das Jahrbuch wird von einem fünfköpfigen wissenschaftlichen Redaktionsteam begleitet. Es wird als Print- und als E-Book angeboten und ein Jahr nach Erscheinen in Open Access zur Verfügung gestellt. Wir folgen nun dem positiven Trend, Publikationen für eine große wissenschaftliche und allgemein an unseren Themen interessierte Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

UB: Gab es bereits konkrete Situationen in Ihrem Forschungsalltag, in denen Open Access hilfreich war?

AS: Als Lektorin kann ich beispielsweise fehlende oder unvollständige Fußnoten ohne Hürden sofort prüfen und auch inhaltliche Fragen in den Texten, die ich für das Jahrbuch lektoriere, schnell klären.

IRS: In der Bibliothek kann ich Open-Access-Publikationen unseren Nutzerinnen und Nutzern ohne Hindernisse zur Verfügung stellen, bspw. ist ein VPN-Zugang dann nicht nötig.

UB: Bis 2025 sollen laut der Digitalstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) 70 Prozent aller neu erscheinenden wissenschaftlichen Publikationen in Deutschland ausschließlich oder zusätzlich Open Access veröffentlicht werden. Erscheint Ihnen dieses Ziel sinnvoll? Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit dieses Vorhaben gelingen kann?

AS: Es ist eine große Herausforderung, dieses Ziel bis 2025 zu erreichen, in Anbetracht der Tatsache, dass nach wie vor in unserem Forschungsfeld schätzungsweise 98 Prozent der Publikationen nicht als Open Access verfügbar sind. Mehr noch: Es gibt sogar nur eine geringe Anzahl an kostenpflichtigen E-Books in den Geisteswissenschaften. Die Sozialwissenschaften sind da schon etwas besser aufgestellt.

IRS: Außerdem sind uns die finanziellen Hintergründe unklar. Wer bezahlt was zu welchem Anteil? Als Beispiel kommen wir zurück auf das Open Access-Projekt zur jüdischen Geschichte: Zur Finanzierung der Open-Access-Bände hat jede Bibliothek aus dem Konsortium einen relativ hohen festen Betrag beigesteuert. Diese Kosten können nur von großen Bibliotheken getragen werden und es ist die Frage, ob sie es auf Dauer leisten können und wollen. Kleinere Bibliotheken allerdings profitieren von dieser Aufteilung, weil sie (wie alle anderen weltweit) die Open Access-Publikationen kostenlos nutzen können.

UB: Kurz und knapp in einem Satz: Was finden Sie gut an Open Access?

AS & IRS: Open Access spart in der Erwerbung für unsere Bibliothek Geld und Arbeit und macht die Literatur unbegrenzt frei zugänglich. Das ist für den Forschungsalltag und für unseren Arbeitsalltag von großer Bedeutung.

UB: Geben Sie uns zum Abschluss einen Einblick in Ihr Forschungsfeld für Disziplinfremde. Mit welchen Fragen und Erkenntnissen beschäftigen Sie sich?

AS: Unser Forschungsfeld befasst sich mit dem weiten Thema Antisemitismus, Rassismus und Minderheitenforschung in Geschichte und Gegenwart, weltweit. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums für Antisemitismusforschung beschränken sich aber nicht nur auf die Forschung, sondern wirken auch beratend und unterstützend in Politik und Bildung hinein.

UB: Herzlichen Dank für das Interview!

Zur Person

Irmela Roschmann-Steltenkamp hat Germanistik und Europäische Ethnologie in Göttingen sowie Bibliothekswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert. Von 1994 bis September 2016 war sie Leiterin der Bibliothek der Stiftung Topographie des Terrors, seit Oktober 2016 leitet sie Bibliothek und Archiv am Zentrum für Antisemitismusforschung. Sie ist Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstättenbibliotheken, der Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken sowie im Arbeitskreis One Person Libraries Berlin-Brandenburg.

Adina Stern hat Geschichte und Literaturwissenschaften an der Tel Aviv University studiert, an der sie auch langjährige Lektorin des Tel Aviver Jahrbuchs für deutsche Geschichte sowie der Schriftenreihedes Minerva Instituts für deutsche Geschichte war. Sie arbeitet als freiberufliche Lektorin und Übersetzerin aus dem Hebräischen und Englischen. Seit 2016 ist sie zudem geschäftsführende Redakteurin und Lektorin des Jahrbuchs für Antisemitismusforschung und weiterer Publikationen am Zentrum für Antisemitismusforschung.

Zu den weiteren Teilen der diesjährigen Interviewreihe:

Dzifa Ametowobla (Fachgebiet Digitalisierung der Arbeitswelt): „Open Access braucht nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern vor allem kluge Strategien und eine Zusammenarbeit aller Institutionen der Wissenschaft.“

PD Dr. Jan Pfetsch (Fachgebiet Pädagogische Psychologie): „Ich veröffentliche gern Manuskripte und Forschungsberichte Open Access, um die Sichtbarkeit meiner Forschungsergebnisse zu erhöhen.“

Dr. Thomas Meyer (Fachgebiet Maschinen- und Energieanlagetechnik): „Dank Open Access ist Schluss mit Zugangsbeschränkungen und der erschwerten Weiterverwendung von Konferenzbeiträgen, auch über die eigentlichen Konferenzen hinaus.“

Prof. Dr. Sabine Hark (Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung): „Open Access ist ein Motor für die Demokratisierung von Bildung und Wissenschaft – wenn sie gemeinwesenbasiert ist und nicht kapitalgetrieben.“

Übersicht aller bislang in der Interviewreihe erschienenen Beiträge.

Ausstellung aller Open-Access-Statements auf dem Flickr-Profil der Universitätsbibliothek.

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