Anlässlich der internationalen Open Access Week 2023 setzen wir unsere Interviewreihe der letzten Jahre fort und haben gefragt: „Wie halten Sie es mit Open Access?“ Den Auftakt macht in diesem Jahr Dr.-Ing. Anna Juliane Heinrich. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Fachgebiets Städtebau und Siedlungswesen am Institut für Stadt- und Regionalplanung der Fakultät VI und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Berlin Universities Publishing (BerlinUP). Sie sagt, Open Access erhöht die Sichtbarkeit des Forschungsoutputs und erleichtert den Arbeitsalltag von Wissenschaftler*innen ungemein.
UB: Open Access ist ein strategisches Ziel der TU Berlin. Wie sieht das in Ihrem Forschungsalltag aus? Ist Open Access ein Begriff? In welchen Kontexten nehmen Sie Diskussionen zu Open Access wahr?
AJH: Als ich 2011 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin angefangen habe, war Open Access im Kollegium, soweit ich mich erinnere, noch kein großes Thema. Seit einigen Jahren wird es aber immer präsenter und relevanter. Gerade aus Gesprächen über Publikationen und in der Ausarbeitung von Publikationsstrategien ist Open Access mittlerweile nicht mehr wegzudenken.
In meiner Wahrnehmung geht es den meisten Kolleg*innen darum, ihre Leserschaft zu erreichen und ihre Erkenntnisse der interessierten Öffentlichkeit ohne Zugangsbarrieren zugänglich zu machen. Positiv ist natürlich, dass Open Access zur Reichweite und Rezeption von Forschung beiträgt, was für die Forschenden auch mit Blick auf ihren Werdegang von Vorteil ist.
Entsprechend wünschen sich die meisten meiner Kolleg*innen prinzipiell ihre Arbeiten Open Access zu veröffentlichen. Aktuell gelingt das aber nicht immer. Zwar bieten viele Verlage die Option zur Open-Access-Veröffentlichung an, aber hierfür fallen für die Autor*innen teilweise horrende Gebühren an. Die können nicht immer gestemmt werden. Die Fonds der TU Berlin zur Finanzierung von Open-Access-Publikationen sind nach meiner Wahrnehmung bekannt und werden genutzt. Aber es regt sich generell Unmut mit Blick auf die hohen Gebühren für Autor*innen einerseits und Leser*innen andererseits, die bei vielen großen kommerziellen Verlagshäusern anfallen.
UB: Open Access hat den offenen Zugang zu wissenschaftlicher Information zum Ziel. Derzeit planen Sie im Verlag Berlin Universities Publishing die Herausgabe der Schriftenreihe „ISR Edition – Urban and Regional Planning Series.“ Die Reihe versteht sich als Weiterführung verschiedener Schriftenreihen des Instituts für Stadt- und Regionalplanung (ISR) der TU Berlin, die bislang im 2022 eingestellten Universitätsverlag der TU Berlin erschienen waren. Mit dem Umzug der Schriftenreihe zu einem neuen Verlagshaus haben Sie sich erneut für einen Open-Access-Verlag entschieden. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
AJH: Die Entscheidung ist uns sehr leichtgefallen. Da ich bereits 2022 in den wissenschaftlichen Beirat von BerlinUP berufen wurde, war ich vergleichsweise frühzeitig vertraut mit der Ausrichtung des Verlags. Und ich unterstütze die Grundsätze – die Open-Access-Veröffentlichung, die nicht-kommerzielle Ausrichtung des Verlags, die konsequente Qualitätssicherung und die Offenheit für neue und ungewöhnliche Publikationsformate – voll und ganz. Als Leiterin unserer Publikationsstelle habe ich meinen Kolleg*innen also die Veröffentlichung unserer Schriftenreihe bei BerlinUP vorgeschlagen und die Kolleg*innen haben das einstimmig befürwortet.
Mit der Aufnahme bei BerlinUP müssen wir unsere Schriftenreihe weiterentwickeln. Zugegeben, die Schriftenreihen des Hauses waren bislang nicht peer-reviewed. Die Reihe jetzt konsequent einem peer-review-Verfahren zu unterziehen, haben wir aber als Chance gesehen, unsere Schriftenreihe weiter zu qualifizieren und die Reichweite auszubauen.
UB: Gab es bereits konkrete Situationen in Ihrem Forschungsalltag, in denen Open Access hilfreich war?
AJH: Absolut. Kernbestandteil meines Berufs ist ja, mit meiner eigenen Forschung an die Forschung anderer anzuknüpfen, darauf aufzubauen, Erkenntnisse zu bestätigen, herauszufordern oder fortzuschreiben. Das geht natürlich nur, indem ich mir kontinuierlich einen gründlichen Überblick über vorhandene Forschungsergebnisse verschaffe. Hierfür brauche ich Zugang zu den Veröffentlichungen anderer Wissenschaftler*innen. Auf viele Volltexte kann ich über die Universitätsbibliothek zugreifen; einiges über Open Access im Internet. Wenn ich aber zu Texten ad hoc keinen Volltextzugriff habe, dann überlege ich mir genau: Brauche ich den Text wirklich und nehme den – mal kleineren, mal größeren – administrativen Aufwand der Beschaffung auf mich? Oder geht es vielleicht doch ohne den Text? Heißt aber auch, dass mir sicherlich mal ein inspirierender Text mit unerwartetem Input für meine Forschung entgeht. Das Schöne an Open Access ist, dass ich nicht auf Basis von Überschrift und Kurzfassung entscheiden muss, ob ein Text für mich relevant ist oder nicht. Ich kann die Veröffentlichung überfliegen und so einen besseren Einblick in die thematische Ausrichtung bekommen und auf dieser Basis entscheiden, ob ich mich intensiver mit der Veröffentlichung auseinandersetze. Insofern fördert Open Access meines Erachtens, dass ich unerwartete Inspiration und unkonventionelle Gedanken, die ich im ersten Moment nicht mit meiner eigenen Recherche in Verbindung bringe, in meine Arbeit aufnehme.
UB: Bis 2025 sollen laut der Digitalstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) 70 Prozent aller neu erscheinenden wissenschaftlichen Publikationen in Deutschland ausschließlich oder zusätzlich Open Access veröffentlicht werden. Erscheint Ihnen dieses Ziel sinnvoll? Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit dieses Vorhaben gelingen kann?
AJH: Das Ziel ist nach meinem Überblick ambitioniert, aber absolut sinnvoll. Je mehr wissenschaftlicher Output Open Access zugänglich gemacht wird, umso besser! Langfristig sollte Open Access idealerweise zur Selbstverständlichkeit werden. Aber was braucht es dafür? Ich sage bewusst nicht, wir bräuchten mehr Geld für Open-Access-Veröffentlichungen. Zwar habe ich in der Vergangenheit auch schon Open-Access-Gebühren gezahlt, um kurzfristig den kostenfreien Zugang zu meiner Forschung zu ermöglichen. Aber Open-Access-Gebühren bei kommerziellen Verlagen sind keine langfristige Strategie. Was wir brauchen, ist die nötige Infrastruktur für Open-Access-Publikationen. Wir brauchen Universitätsverlage wie BerlinUP, die sich nicht-kommerziell dem Open Access verschreiben. Ich habe die Hoffnung, dass die Bedeutung von Verlagen mit dem Geschäftsmodell des „Diamond Open Access“ mittelfristig deutlich steigt.
UB: Kurz und knapp in einem Satz: Was finden Sie gut an Open Access?
AJH: Open Access fördert lebhafte wissenschaftliche Diskurse. Open Access macht Wissenschaft zugänglich – was immer wichtiger wird! Und ja, Open Access macht den Arbeitsalltag von Wissenschaftler*innen leichter.
UB: Geben Sie uns zum Abschluss einen Einblick in Ihr Forschungsfeld für Disziplinfremde. Mit welchen Fragen und Erkenntnissen beschäftigen Sie sich?
AJH: In der Vergangenheit sind wir davon ausgegangen, der Zugang zum Internet würde „online Welten“ erzeugen, die von den „offline Realitäten“ unseres Alltags zu unterscheiden sind. Jüngere Erkenntnisse zeigen aber, dass diese Unterscheidung gerade aus der Perspektive jüngerer Menschen nicht zutrifft. Für digital natives ist eine Gleichzeitigkeit von online und offline, von virtuellen und physischen Räumen selbstverständlich. Insbesondere das Smartphone trägt zur steigenden Relevanz solcher hybriden Situationen bei. Und es sind diese hybriden Räume, die gleichzeitige Relevanz von online und offline, die meine Kolleg*innen und mich interessieren.
Daher haben wir im vergangenen Jahr zusammen mit Jugendlichen eine Forschungs-App entwickelt, in der die Jugendlichen ihren Alltag darstellen können. Sie stellen – primär grafisch – dar, was sie so machen, wo, mit wem und wie es ihnen dabei geht. Über diesen intensiven Einblick in den Alltag und die Lebenswelt junger Menschen erwarten wir Aussagen dazu treffen zu können, wie sich der Alltag junger Menschen in seiner räumlichen Dimension darstellt und insbesondere, wie das Smartphone diesen beeinflusst.
UB: Herzlichen Dank für das Interview!
Zur Person:
Anna Juliane Heinrich (Dr.-Ing.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Städtebau und Siedlungswesen am Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin. Sie ist Leiterin der Publikationsstelle des Instituts und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von BerlinUP. Seit 2022 ist sie Ko-Leiterin des Forschungsprojektes »Raumwissen Jugendlicher: Die Konstitution von online, offline und hybriden Räumen« sowie Ko-Leiterin des Graduiertenkollegs des Sonderforschungsbereichs 1265 »Re-Figuration von Räumen«. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören soziale Infrastrukturen (v.a. Bildungsinfrastrukturen in der strategischen Stadtentwicklung), Beteiligung und Ko-Produktion in der Stadtentwicklung, Kinder und Jugendliche in der Stadt sowie Methoden der Raumforschung.