„Hohe Kosten für Open Access müssen sinken und streng reglementiert werden.“

Anlässlich der internationalen Open Access Week 2022 setzen wir unsere Interviewreihe der letzten Jahre fort und haben gefragt: „Wie halten Sie es mit Open Access?“ Den Auftakt macht Dr. Giulia Simonini vom Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- & Technikgeschichte an der Fakultät I. Für ihr aktuelles Buchprojekt hat sie in diesem Jahr den Open-Access-Fonds der TU genutzt. Wir sprachen mit ihr darüber und über den Stellenwert von Open Access in ihrem Forschungsalltag.

UB: Open Access ist ein strategisches Ziel der TU Berlin. Wie sieht das in Ihrem Forschungsalltag aus? Ist Open Access ein Begriff? In welchen Kontexten nehmen Sie Diskussionen zu Open Access wahr?

GS: Leider ist Open Access ein eher abstrakter Begriff im geisteswissenschaftlichen Forschungsalltag. Open Access wird erst dann aktives Thema, wenn es um konkrete Publikationsprojekte geht und Verlagshäuser oder Herausgeber*innen Open Access als eine Möglichkeit präsentieren. Ansonsten ist Open Access indirekt ein Thema: Und zwar wenn man bei der Recherche einerseits mit Begeisterung feststellt, dass neue und alte Beiträge vollkommen zugänglich sind und andererseits mit Frustration, wenn andere Beiträge nur als Papierkopien in einer einzigen deutschen Bibliothek oder online nur für Abonnenten einsehbar sind. In diesem Fall wünscht man sich doch, dass sich Autor*innen und Herausgeber*innen für Open Access entschieden hätten.

UB: Open Access hat den offenen Zugang zu wissenschaftlicher Information zum Ziel. Sie haben in diesem Jahr für die Buchpublikation im Wissenschaftsverlag Brill „Insects and colors between art and natural history“ den Publikationsfonds der TUB genutzt. Wie kam es zu der Entscheidung, das Buch Open Access zu veröffentlichen?

GS: Auf die Idee kamen wir erst durch den Vorschlag vom Verlag Brill. Der Verlag fragte uns (mich und den Mitherausgeber V.E. Mandrij), ob unsererseits Interesse an Open Access besteht und wies uns darauf hin, dass unsere Universitäten (TU Berlin und Uni Konstanz) Open-Access-Publikationsfonds anbieten. Ohne diese hätten wir uns nie leisten können, das Buch als Open-Access-Buch zu veröffentlichen.

UB: Gab es bereits konkrete Situationen in Ihrem Forschungsalltag, in denen Open Access hilfreich war?

GS: Ja, selbstverständlich. Es gibt eine Reihe an (zum Teil kostenpflichtiger) Services für Wissenschaftler*innen, die den Zugriff auf Materialien gewährleisten, die sonst nur schwer zugänglich sind. Ganz bekannt in Deutschland ist der Dokumentenlieferdienst Subito. Allerdings nutze ich Subito nur gelegentlich. Und während des pandemiebedingten Lockdowns, als alle Bibliotheken geschlossen waren, wurden Open-Access-Publikationen das wichtigste Forschungsmaterial für mich.

Eine Herausforderung ist, dass die leichte Zugänglichkeit von bestimmten Materialien (dank Open Access oder durch Angebote der Bibliotheken) nicht andere Publikationen, die leider nicht Open Access veröffentlicht wurden, in den Hintergrund drängt. In meinem Bereich ist es weiterhin wichtig, auch die ausschließliche gedruckte Literatur zu lesen – das müssen wir auch den Studierenden immer wieder vermitteln. Zum Glück besteht heute ein enormer Digitalisierungsschwung seitens vieler Bibliotheken, um ältere Quellen, die nun gemeinfrei sind, online frei zugänglich zu stellen.

Foto: Andrea Rinaldi / Satz: Hannelore Stöcklein / Alle Rechte vorbehalten

UB: Bis 2025 sollen laut der Digitalstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) 70 Prozent aller neu erscheinenden wissenschaftlichen Publikationen in Deutschland ausschließlich oder zusätzlich Open Access veröffentlicht werden. Erscheint Ihnen dieses Ziel sinnvoll? Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit dieses Vorhaben gelingen kann?

GS: Meiner Meinung nach ist dieses Ziel nicht nur möglich, sondern auch erforderlich. Dies kann aber nur erfolgreich geschehen, wenn die von Verlagshäusern verlangten hohen Kosten für Open Access, die manchmal vollkommen willkürlich wirken, sinken und streng reglementiert werden.

UB: Kurz und knapp in einem Satz: Was finden Sie gut an Open Access?

GS: Open Access führt zu einer Demokratisierung der Forschung, da wissenschaftliche Publikationen für alle Forscher*innen leicht zugänglich und nutzbar sind.

UB: Geben Sie uns zum Abschluss einen Einblick in Ihr Forschungsfeld für Disziplinfremde. Mit welchen Fragen und Erkenntnissen beschäftigen Sie sich?

GS: Als Kunst- und Wissenschaftshistorikerin habe ich mich in der Geschichte von Farben, verstanden als Farbmittel und Erscheinungen, spezialisiert. Meine Forschungsfragen fokussieren sich vor allem auf der historischen Einsicht von Farbordnungen, Farbsystemen und Farbtabellen. Solche Kartierungen von Farben nahmen im 18. Jahrhundert wesentlich zu. In unserem Sammelband „Insects and Colors between Art and Natural History“ zeigen wir, dass solche ‚visual tools‘ eine wichtige Rolle für die frühe Entomologie (also Insektenkunde) spielten, wo die Farbenpracht von Insekten es für die Gelehrten besonders schwierig machte, diese kleinen Tiere in ihren Publikationen zu beschreiben und abzubilden.

Zur Person

Frau Simonini ist Diplomrestauratorin, Kunst- und Wissenschaftshistorikerin und Paläographin. Sie hat in Bologna, Krakow, Potsdam und Berlin studiert. Seit 2015 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in verschiedenen Forschungsprojekten an der TU Berlin tätig. In den letzten Jahren hat sie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und an der Universität Konstanz gelehrt. Aktuell ist sie Postdoktorandin in der Forschungsgruppe „Dimensionen der techne in den Künsten“, wo sie gemeinsam mit Prof. Dr. Friedrich Steinle verschiedene Schnittstellen zwischen Kunst und Wissenschaft zum Thema Farbe untersucht.

Zu den weiteren Teilen der Interviewreihe (2022):

Dr.-Ing. Dragan Marinkovic: (Fachgebiet Strukturmechanik und Strukturberechnung) „Open Access sorgt für die Gleichheit an der Startlinie der Forschungsarbeit.“

Prof. Dr. Beate Krickel (Fachgebiet Philosophie der Kognition): „Was sollte gut daran sein, wenn der Zugang zu Forschungsergebnissen und wissenschaftlichen Diskursen beschränkt oder erschwert ist?“

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