Anlässlich der internationalen Open Access Week 2021 setzen wir unsere Interviewreihe der letzten Jahre fort und haben TU-Angehörige gefragt: „Wie halten Sie es mit Open Access?“ Den Auftakt in diesem Jahr macht Dzifa Ametowobla vom Institut für Soziologie der Fakultät VI. Für sie ist Open Access fraglos die Zukunft. Zugleich benennt sie die Notwendigkeit alternativer Finanzierungsmodelle und eines Kulturwandels in den Wissenschaften.
UB: Open Access ist ein strategisches Ziel der TU Berlin. Wie sieht das in Ihrem Forschungsalltag aus? Ist Open Access ein Begriff? In welchen Kontexten nehmen Sie Diskussionen zu Open Access wahr?
DA: Diskussionen zu Open Access gibt es bei uns immer wieder. Grundsätzlich sind die meisten dafür: Wir alle wollen, dass unsere Forschungsergebnisse ein möglichst breites Publikum erreichen. Gleichzeitig freuen wir uns, wenn wir das, was andere Wissenschaftler*innen herausfinden, einfach lesen können. Open Access ist die Zukunft, daran besteht kaum ein Zweifel. Wir diskutieren eher über die Bedingungen und Folgen der Finanzierungsmodelle, die gerade ausprobiert werden. Wenn Verlage hohe Summen verlangen, um einzelne Artikel zu veröffentlichen, erzeugt das neue Ausschlussmechanismen. Wissenschaftler*innen ohne finanzstarke Institutionen im Hintergrund können dann in Zukunft zwar lesen, was andere herausgefunden haben, aber selbst nichts mehr veröffentlichen. Am Ende gewinnt die Wissenschaft nichts durch solche Modelle. Wenn Open Access ein Erfolg werden soll, muss sich mehr ändern als nur der Zeitpunkt, an dem Geld für wissenschaftliche Arbeiten fließt. Es braucht auch einen Kulturwandel in den Wissenschaften selbst und Strategien, die von den Universitäten, Fachgesellschaften und Institutionen der Forschungsförderung getragen werden.
UB: Open Access hat den offenen Zugang zu wissenschaftlicher Information zum Ziel. Sie planen Ihre Dissertation Open Access zu veröffentlichen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
DA: Ich möchte, dass meine Dissertation von allen gelesen werden kann, die sich für das Thema interessieren, und nicht nur von denen, die an einer Universität mit dem passenden Zugang zum Verlagsangebot arbeiten oder studieren. Open Access macht es so einfach, in ein Buch hineinzulesen und schnell zu entscheiden, ob es zu den eigenen Interessen passt oder nicht. Ich hoffe, dass meine Dissertation dank Open Access mehr Leser*innen findet – und dass die, die damit nichts anfangen können, das schnell und ohne großen Aufwand herausfinden.
UB: Gab es bereits konkrete Situationen in Ihrem Forschungsalltag, in denen Open Access hilfreich war?
DA: Das Thema, über das ich promoviert habe, liegt im Grenzbereich zwischen Soziologie und Informatik. Ich musste mich dafür in verschiedene Forschungsstände einarbeiten und sehr viel Literatur sichten, die auf den ersten Blick passend aussah, auf den zweiten Blick aber nichts mit meinem Thema zu tun hatte. Bei Büchern und Artikeln, die Open Access veröffentlicht worden sind, ist das eine einfache Aufgabe. Muss die Literatur erst aufwändig besorgt werden und ist dann doch nicht passend, ist es frustrierend. Dass neuere Arbeiten oft frei zugänglich sind, freut mich deswegen sehr.
UB: Bis 2025 sollen laut der Digitalstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) 70 Prozent aller neu erscheinenden wissenschaftlichen Publikationen in Deutschland ausschließlich oder zusätzlich Open Access veröffentlicht werden. Erscheint Ihnen dieses Ziel sinnvoll? Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit dieses Vorhaben gelingen kann?
DA: Das Ziel erscheint mir sinnvoll, aber zu unspezifisch. Die Verschiebung hin zu Open Access bietet die Chance, einige der Nachteile der aktuellen Publikationsstrukturen endlich zu überwinden. Die Veröffentlichung wissenschaftlicher Erkenntnisse sollte kein Geschäftsmodell sein, mit dem gigantische Gewinne erzielt werden können, sondern eines, das sich trägt und der Allgemeinheit nützt. Die Arbeit der Wissenschaftsverlage ist wichtig, aber den größten Teil der Aufgaben erledigen Wissenschaftler*innen selbst: Sie schreiben die Artikel, wählen sie aus, beurteilen sie und stellen Bücher und Zeitschriftenausgaben zusammen, die sie meistens auch noch selbst bewerben. Eine Digitalisierungsstrategie, die diese Produktionsbedingungen nicht berücksichtigt, halte ich für kurzsichtig. Für eine echte Veränderung braucht es Strukturen, über die Wissenschaftler*innen bei der Gründung und dem Betrieb von Open- Access-Journalen unterstützt werden. Da sind auch die Fachgesellschaften und Einrichtungen wie die DFG gefragt, denn nur sie können solche Strukturen langfristig stützen. In einigen Disziplinen ist auch ein Kulturwandel nötig, denn gerade Nachwuchswissenschaftler*innen müssen fürchten, dass ihre Arbeit nicht anerkannt wird, wenn sie nicht bei großen Verlagen oder etablierten Zeitschriften erscheint. Open Access braucht also nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern vor allem kluge Strategien und eine Zusammenarbeit aller Institutionen der Wissenschaft.
UB: Kurz und knapp in einem Satz: Was finden Sie gut an Open Access?
DA: Wissenschaft wird von der Allgemeinheit finanziert. Der freie Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen sollte eigentlich selbstverständlich sein. Dafür sorgt Open Access.
UB: Geben Sie uns zum Abschluss einen Einblick in Ihr Forschungsfeld für Disziplinfremde. Mit welchen Fragen und Erkenntnissen beschäftigen Sie sich?
DA: Mein Forschungsschwerpunkt ist der Zusammenhang zwischen Software und den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie entsteht und genutzt wird. Besonders interessiert mich, welche Rolle Organisationen dabei spielen. In meiner Dissertation habe ich untersucht, wie Mitarbeiter*innen im Krankenhaus mit standardisierter Organisationssoftware umgehen, die ihren Ursprung in der Industrie hat. Mich fasziniert es zu sehen, wie sich solche Entstehungsbedingungen in Software ablagern, und dass sie langfristig Auswirkungen darauf haben, wie Software genutzt wird. In meinem aktuellen Projekt untersuchen wir, in welchen Details sich die Versionen von Gigwork-Plattformen wie Uber oder Lieferando in verschiedenen Ländern unterscheiden und welche Unterschiede es bei der nationalen Regulierung dieser Plattformen gibt. Wir hoffen, dadurch mehr darüber herauszufinden, wie die Plattformunternehmen auf Regulierung und Regulierungsinstanzen auf die Herausforderungen durch digitale Plattformen reagieren.
UB: Herzlichen Dank für das Interview!
Zur Person
Dzifa Ametowobla ist Soziologin und Informatikerin. Sie war Stipendiatin im DFG-Graduiertenkolleg „Innovationsgesellschaft heute. Die reflexive Herstellung des Neuen“ und arbeitet seit 2014 am Institut für Soziologe der TU Berlin. Im Jahr 2020 promovierte sie an der TU Berlin mit einer Dissertation zur Soziologie der Software. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Organisationssoziologie, Soziologie digitaler Technik und Methoden der empirischen Sozialforschung.
Zu den weiteren Teilen der diesjährigen Interviewreihe:
PD Dr. Jan Pfetsch (Fachgebiet Pädagogische Psychologie): „Ich veröffentliche gern Manuskripte und Forschungsberichte Open Access, um die Sichtbarkeit meiner Forschungsergebnisse zu erhöhen.“
Irmela Roschmann-Steltenkamp & Adina Stern (Zentrum für Antisemitismusforschung): „Open Access spart in der Erwerbung für unsere Bibliothek Geld und Arbeit. Frei zugängliche Literatur ist für den Forschungs- und Arbeitsalltag von großer Bedeutung.“
Dr. Thomas Meyer (Fachgebiet Maschinen- und Energieanlagetechnik): „Dank Open Access ist Schluss mit Zugangsbeschränkungen und der erschwerten Weiterverwendung von Konferenzbeiträgen, auch über die eigentlichen Konferenzen hinaus.“
Prof. Dr. Sabine Hark (Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung): „Open Access ist ein Motor für die Demokratisierung von Bildung und Wissenschaft – wenn sie gemeinwesenbasiert ist und nicht kapitalgetrieben.“
Übersicht aller bislang in der Interviewreihe erschienenen Beiträge.
Ausstellung aller Open-Access-Statements auf dem Flickr-Profil der Universitätsbibliothek.